Der Wanderchirurg
du bist kein Freier. Und selbst, wenn du einer wärst, ich würde dich kaum zum Zuge kommen lassen.« Sie nahm den Arm herunter und strich sich ihr schwarzes Seidengewand glatt.
Martinez stand verdattert da. Er war es nicht gewohnt, dass Huren so mit ihm umgingen. »Zu Euren Diensten, Gnädigste«, brachte er schließlich hervor und fragte sich, was sie von ihm wollte.
»Bist du immer so zielsicher im Spucken, mein Freund?« Sie ging auf eine Ecke zu, in der mehrere perlenbestickte Kissen zum Sitzen einluden. Mit einer graziösen Bewegung ließ sie sich nieder. »Nimm Platz.«
»Besten Dank.« Martinez war noch immer beeindruckt.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
»Ach so.« Martinez setzte sich, nicht ohne gebührenden Abstand zu wahren. »Ich treffe alles, was ich treffen will«, sagte er dann nicht ohne Stolz. »Ob mit Kirschkern oder Speichel, Kugel oder Pfeil, Speer oder Messer, ich verfehle mein Ziel nie.«
Plötzlich lachte sie und entblößte dabei zwei Reihen starker, weißer Zähne: »Auch Leiber sollst du punktgenau auf Hirschgeweihe spießen können, wie man hört!« Sie hielt inne. »Das warst du doch?«
»Jawohl, das war ich: Juan Martinez.« Martinez fühlte Stolz in sich aufwallen.
»An der Variante mit dem Speichel wäre ich unter Umständen interessiert.« Die Bordellbesitzerin wies auf einen Krug mit Wein. »Bedien dich.«
»Ich danke Euch.« Martinez schenkte sich ein und führte den Becher zum Mund. »Oh, Verzeihung, Ihr möchtet sicher auch ...«
Seine Gastgeberin winkte ab. »Ich trinke niemals am Tag. Aber tu dir deshalb keinen Zwang an.«
»Salud!« Martinez nahm einen kräftigen Schluck. Der Wein war stark und süß. Er spürte, wie er die Kehle hinunterrann und den Magen wärmte. »Was kann ich für Euch tun?«
»Du sollst mich unterstützen, einen unsichtbaren Kampf zu gewinnen.«
»Natürlich, gern.« Martinez verstand kein Wort. Elvira wurde genauer: »Bis vor wenigen Wochen war dieses Haus eines der erfolgreichsten in Kastilien. Ich hatte außergewöhnlich hohe Einkünfte. Dann aber geschah es, dass eine ganz bestimmte Gruppe von Freiern - nämlich die, die ich persönlich zu bedienen pflege - nach der Liebe die Zahlung verweigerte. Die Herren lachten mich einfach aus und gingen wieder. Nicht einer oder zwei, nein, alle taten es.« Sie nahm eine kandierte Kirsche und biss mit ihren starken Zähnen hinein. »Ich bin sicher, dass sie sich abgesprochen haben.«
»Aber warum?«
»Neid und Missgunst, vermute ich. Was sonst? Alles, was du hier siehst, gehört mir. Bezahlt mit dem Geld meiner Freier. Doch um welchen Preis? Als Hure stehst du ständig zwischen Macht und Ohnmacht. Der Geschlechtstrieb ist die stärkste Kraft der Welt. Er treibt den Mann in meine Arme. Der Kerl frisst mir aus der Hand. Er verspricht mir goldene Berge. Er macht mir Komplimente. Er will mir die Sterne vom Himmel holen. Kurz: Er will mich vögeln. Aber kaum ist er zum Schuss gekommen und der Trieb dahin, sieht alles ganz anders aus. Dann nämlich geht's ans Bezahlen. Und die Ohnmacht der Hure beginnt. Was kann sie dagegen tun, wenn ein Freier nicht löhnen will? Nichts!«
»Ein schlechtes Geschäft«, sagte Martinez nachdenklich. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass auch er sich schon ums Bezahlen gedrückt hatte - allerdings bei billigen Huren, die im Tross der Truppe mitzogen. Er nahm noch einen Schluck Wein. »Warum verweigert Ihr Eure, äh ... Dienste nicht einfach?«
»Das kann ich mir nicht leisten. Meine Freier gehören zu den führenden Männern der Stadt. Wenn ich mich ihnen verweigern würde, könnte mir viel größerer Schaden entstehen als ein entgangener Liebeslohn. Denk nur daran, wie schnell ein Haus bis auf die Grundmauern abbrennt. Und wie schleppend sich eine Untersuchung auf Brandstiftung hinziehen kann - nur um am Ende im Sande zu verlaufen.« Sie nahm einen kunstvoll bemaltes, pergamentenes Rad und fächelte sich damit Luft zu.
»Eines steht jedenfalls fest. Keine Ehefrau in diesem Ort würde auch nur eine Träne vergießen, wenn mir etwas Derartiges zustieße.«
»Aber Ihr habt einen Plan?« Martinez war eingefallen, dass Elvira von einer »Verwendung« für ihn gesprochen hatte.
»Ja, ich habe einen Plan. Wenn ich für meine Dienste schon keine Entlohnung bekomme, will ich wenigstens Rache. Die Rache soll in einer Demütigung meiner saumseligen Zahler bestehen. Was ich will, ist eine sehr feine, wohl ausgewogene Demütigung: Sie darf auf keinen Fall öffentlich
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