Der Weg der Helden
das getan hatte, goss sie Öl in ihre Hände, verrieb es und begann dann, sanft die Muskeln seiner Schultern zu kneten. » Sie fühlen sich an wie Eisenbänder«, erklärte sie. Er stöhnte, als sie fester zupackte. » Du glaubst also, die Quelle hasst dich? Wenn das stimmt, hat sie aber eine merkwürdige Art und Weise, es dir zu zeigen. Du und ich haben mehr als ein Jahrhundert der Liebe erlebt. Du arroganter Kerl!« Mit Fingern und Daumen linderte sie die Verspannung seines Nackens und fuhr dann sein Rückgrat hinunter. » Die Quelle hasst dich nicht, Rael. Aber sie muss hassen, was wir geworden sind. Sklavenhalter und Tyrannen. Alle unsere Pläne, all unser Ehrgeiz richten sich nur auf ein einzige Ziel: die Kontrolle zu erlangen, um zu herrschen. Wir leben, indem wir das Leben von anderen stehlen. Wenn die Quelle das nicht hassen sollte, würde ich mich überhaupt nicht mit ihr beschäftigen. Verstehst du jetzt, warum ich mich weigere, dem Konzil beizutreten?« Er lag ganz ruhig da, während ihre Hände Magie wirkten. Sie setzte die Massage fort und strich mit ihrem Ellbogen über die langen Muskeln an den Hüften. Rael stöhnte erneut.
» Versuchst du mich zu heilen, oder willst du mich umbringen?«, erkundigte er sich.
» Ich versuche, dich die Wahrheit sehen zu machen«, gab sie zurück. » Mejana ist das helle Licht des Morgengrauens; Sofarita die Sonne, die dem Regen folgt. Sie sind nicht böse, Rael, sondern sie sind notwendig. Wir wurden mit vielen Kindern gesegnet, damals, in den frühen Tagen. Alle sind erwachsen geworden. Alle sind beim Sturz der Welt gestorben. Alle, bis auf Chryssa.« Er schloss die Augen, als der Schmerz der Erinnerung ihn durchfuhr. » Sie lebte«, fuhr seine Gemahlin fort, » aber nur ein paar Jahre lang, und schenkte uns in dieser Zeit große Freude. Jetzt stell dir vor, wie Mejana sich gefühlt haben muss, als ihre Tochter, das Licht ihres Lebens, zum Kristallbad verurteilt wurde. Denk an ihren Schmerz, Rael. Ja, sie hat Baliel ermordet und den Tod von vielen anderen befohlen. Und, ja, sie hasst die Avatar. Aber ihre Sache ist gerecht. Sie hat ihr Leben der Aufgabe gewidmet, dafür zu sorgen, dass keine Mutter jemals wieder miterleben muss, wie ihr Kind zum Kristallbad verurteilt oder den Kristalltod erleiden muss. Hasse sie nicht dafür, Rael. Bewundere sie. Respektiere sie.
Und was die anderen Dinge angeht, worunter du leidest… Hast du erwartet, dass alle Kriege so leicht gewonnen werden können? Du bist der Questor General. Du wirst eine Möglichkeit finden zu siegen. Ich erwarte nichts anderes von dir. Und jetzt dreh dich um.«
Er rollte sich auf den Rücken. Mirani löste die Bänder ihres Gewandes und ließ es ins Gras fallen. Dann stieg sie auf den Tisch und setzte sich rittlings auf ihn.
Er streckte die Hand aus und streichelte ihre Schultern. » Wie bist du nur so hart geworden?«, fragte er mit einem Lächeln.
» Ich habe einen Soldaten geheiratet«, sagte sie und küsste ihn.
» Das Risiko ist zu groß«, sagte Questor Ro zu Talaban. Sofarita saß schweigend im Gras, offenkundig in Gedanken versunken. Es duftete nach Jasmin, und die drei saßen in der Nachmittagssonne. Ro war nicht sonderlich erfreut gewesen, als der hünenhafte Offizier aufgetaucht war. Er hatte mit versteckter Missbilligung bemerkt, wie Sofarita in seiner Gegenwart erstrahlte.
» Ich glaube, das ist unsere einzige Hoffnung, Questor«, gab Talaban zurück.
Sofarita blickte hoch. » Erzähl mir noch einmal, was du von dem Buckligen erfahren hast. Jede Einzelheit.«
Talaban lächelte. » Ich könnte dir sein ganzes Leben erzählen, Mistress, aber das würde nicht viel nützen. Das Wichtigste ist, dass die Kristallkönigin nicht vorhatte, einen Teil ihres Kontinents in diese Welt zu verlegen. Sondern sie wollte eine Barriere errichten, über die die Flutwelle hinwegströmen würde, um dann ihre Städte an eine ruhigere Stelle auf ihrer eigenen Existenzebene versetzen zu können. Tatsächlich jedoch öffnete sie ein Tor zwischen den Welten. An sich wäre das nicht von Bedeutung, wäre da nicht die Tatsache, dass sie dieses Tor nicht mehr vollkommen schließen konnte. Es sind ungeheure Kräfte am Werk, die versuchen, ihr Land wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückzuziehen. Sie benötigt gewaltige Macht, nur um ihren Kontinent hierzubehalten. Aus diesem Grund bedarf sie so vieler Toter, braucht sie so viel Blut. Deshalb fürchtet sie dich, Mistress. Du kannst ihr etwas von der Macht
Weitere Kostenlose Bücher