Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Gul Jana ein, die im Schatten stand und ihr Zweijähriges stillte. »Hinter ihnen kommen Abdullah Khan und Niamat.«
»Schön, bitte Abdullah Khan, sich zurückfallen zu lassen. Ich möchte, dass Niamat der Dritte in der Reihe ist.«
Dann stand der General vom Teppich auf und ging das ganze Lager Zelt für Zelt ab. Er hatte für jeden ein Wort – lobte an einem Zelt des Mannes Gewehr vor dessen jungen Söhnen, bewunderte an einem anderen einen Jungen vor dessen Mutter. Er sah seine Leute gern lachen, und wie immer tauschte er Scherze mit den Frauen, die er in den verschiedenen Zelten kannte, darunter seine Enkelin, die sich nach einer schweren Geburt ausruhte. Doch gleichwohl das Lachen ertönte, klang es in seinen Ohren ein wenig gedämpft. Es klang nicht wie das offene, ungehemmte Gelächter, an das seine Ohren gewöhnt waren. Vielleicht bildete er sich das nur ein, aber er hörte sogar eine Spur von Traurigkeit und Unsicherheit heraus. Die Worte, die er auf dem Teppich gesprochen hatte, waren mittlerweile zweifellos in jedes Zelt gelangt. Er hoffte bloß, zu ihnen zurückkommen und sagen zu können, dass das Gerücht falsch gewesen war. Doch bis er das würde tun können, war es besser, wenn sie sich ein bisschen Sorgen machten.
Am nächsten Morgen in aller Frühe, als es noch dunkel und die
kirri
noch nicht reisefertig war, brachen der General und sein Sohn wie gewohnt zu Fuß auf. Als sie losgingen, waren noch ein paar Sterne am Himmel zu sehen, aber das Lager summte schon vor Betriebsamkeit. Die Zelte waren bereits abgebaut worden und wurden auf die Tiere geladen. Nach und nach wurden die Feuer nach Zubereitung der Morgenmahlzeit gelöscht, und das Schnauben der Kamele mischte sich mit dem Bellen der Hunde, die sich auf den Marsch vorbereiteten. Die Karawane würde an dem Tag die Grenze überqueren. Am nächsten Tag würden sie wissen, wie die Obrigkeit zu der Sache stand.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als die Karawane sich in Bewegung setzte. Im Laufe des Vormittags erreichten sie den Rand des Plateaus, das die Grenze zwischen den zwei Ländern darstellte. Eine weitläufige, flache Ebene ohne besondere Merkmale, abgesehen von kleinen Felsnasen, die hier und da aus dem Boden ragten. Es gab hier keinerlei Zeichen menschlicher Besiedlung außer den Ruinen einiger
kareze
– unterirdischer Kanäle, die Quellwasser zu den Feldern führten –, die von einem längst untergegangenen Volk geduldig erbaut und von einem anderen, inzwischen ebenfalls vergessenen, zerstört worden waren.
Mittlerweile waren alle Anzeichen von Bewirtschaftung und Besiedlung verschwunden. Ein paar Brunnen existierten allerdings noch, und die
kirri
machte an einem davon für den Abend halt. Der Tag war ganz und gar ereignislos verlaufen, und die Leute, die während des Tages übellaunig und reizbar gewesen waren, entspannten sich, als die Karawane hielt und sich für die Nacht auflöste. Die Männer setzten sich zusammen und sprachen eine Zeitlang miteinander. Sie waren sich darin einig, dass morgen ein wichtiger Tag sein würde und es notwendig sei, die jungen Heißsporne in der Nachhut zu halten, während sich die älteren und weiseren Männer an die Spitze setzen sollten.
Jeder Mann verpflichtete sich dazu, seine Söhne und Neffen im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass sie sich anständig benahmen, damit ihre Jugend oder Unbeherrschtheit, sollten sie mit irgendwelchen Amtspersonen in Berührung kommen, keine Schwierigkeiten für sie alle verursachte.
Am nächsten Morgen erreichten sie nach zwei Stunden das Ende der Ebene, und der Pfad, dem sie gefolgt waren, mündete in ein tief eingeschnittenes trockenes Flussbett, von dem zu beiden Seiten enge Täler abgingen. Hoch oben auf der Klippe, die diese Schlucht bewachte, erhob sich ein kleines Fort. Es saß wie ein Adlerhorst auf dem schwarzen Fels, ragte dabei aber teilweise über den Abgrund.
Als die Karawane in Sicht kam, strömte eine lange Reihe von Soldaten aus dem Fort und begann zu den Kharots hinunterzuklettern. Dawa Khan schwenkte den rechten Arm, um seine Karawane zu stoppen, und blieb stehen, während er den näher kommenden Soldaten entgegensah, allen voran der
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, ihnen allen wohlbekannt und weithin berühmt wegen seines Schnauzbarts, der von einem Ende zum anderen zwölf Zoll maß.
Sobald er in Hörweite war, rief Dawa Khan ihm einen Gruß zu. »Mögest du niemals müde sein, Ghuncha Gul!«
»Mögest du niemals erschöpft sein, Bruder!«,
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