Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
ihretwegen gegen die Tradition zu verstoßen!«, knurrte er in Hörweite der Jungen. Die lachten bloß und waren noch immer am Lachen, als die Männer um die Ecke bogen und sich auf den Rückweg machten.
Der General und sein Sohn waren tagelang unterwegs gewesen, doch der Beantwortung der Frage, die sie beschäftigte, waren sie um keinen Schritt näher gekommen. In einem Dorf wurden sie als alte Freunde willkommen geheißen, im nächsten fragte sie jemand, was sie da zu suchen hatten, und schon stellten sich ihre Befürchtungen wieder ein, weil sie die Staatsgrenze nach Pakistan überquert hatten. Da dies allerdings das erste Jahr war, in dem die neuen Grenzbestimmungen galten, und die Grenzposten mit ihnen noch nicht besonders vertraut waren, wusste niemand so genau, wo die Demarkationslinien zwischen den Stammesgebieten und den besiedelten Distrikten genau verliefen. Dasselbe galt für die Behörden. Die Reaktionen der Beamten schwankten zwischen dem vertrauten Willkommen und der unverblümten Frage, wie sie es eigentlich geschafft hatten, über die Grenze zu kommen. Ihre Verwirrung wuchs täglich mehr und ebenso ihre Sorge um die nachfolgenden Karawanen.
Eines Tages wurden sie, nachdem man sie ein paar Stunden auf einer Bank hatte warten lassen, zu einem Beamten vorgelassen, der sich mit den Angelegenheiten der Stämme und der Grenzverwaltung befasste. Wenn jemand Bescheid wusste, dann er. Vater wie Sohn wollten endlich die Wahrheit erfahren, und mochte sie auch noch so unerfreulich sein; sie wollten nicht länger im Ungewissen bleiben.
Den Beamten kannten sie seit Jahren. Als der General und sein Sohn eintraten, blickte er auf und bat sie, sich zu setzen. Eine Zeitlang tauschten sie Höflichkeiten aus, aber ihre vereinten Bemühungen, den Besuch wie jeden anderen auch erscheinen zu lassen, verloren sich bald. Der General schwieg eine Weile und ordnete seine Gedanken. Schließlich erkannte er, dass ihm keine andere Wahl blieb, als direkt und offen zu fragen.
»Sage mir, Sahib«, sprach er und hob sein Gesicht, das starr vor Konzentration war, »weißt du etwas über dieses Gerücht, dass die Regierung Anordnungen gegen die
pawindahs
erlassen hat?« Der Beamte hielt seinem Blick stand. »Es stimmt, Karim Khan, die Regierung hat tatsächlich entschieden, dass kein Verkehr zwischen den zwei Ländern ohne amtliche Reisedokumente erlaubt sein soll. Und das betrifft dich direkt. Ein Teil von mir ist unglücklich und traurig über diese Entscheidung, Karim Khan, aber die Zeiten ändern sich nun einmal, und Ereignisse und Menschen müssen sich ihnen anpassen. Du und ich können nichts gegen die Veränderung ausrichten, so gern wir es auch täten.«
Der General und sein Sohn sahen den Beamten unbewegt an. Schließlich sprach der Sohn. »Wie ist es nur möglich, dass man uns so behandelt, als würden wir zu Afghanistan gehören? Wir halten uns ein paar Monate lang dort und ein paar Monate in Pakistan auf. Den Rest der Zeit sind wir unterwegs. Wir sind
pawindahs
und gehören zu allen Ländern – oder zu keinem«, fügte er nachdenklich hinzu.
»Damit hat man bereits argumentiert, und es wurde nicht anerkannt«, sagte der Beamte.
»Was wird aus unseren Herden werden?«, warf der General ein. »Unsere Tiere müssen sich bewegen, um überleben zu können. An einem Ort zu bleiben würde den Tod für sie bedeuten. Unsere Lebensweise schadet niemandem. Warum wollt ihr, dass wir uns ändern?«
»All diese und noch weitere Argumente sind schon von euren Freunden vorgebracht worden, General«, erklärte ihm der Beamte. »Die Regierung kann sie nicht akzeptieren. Die Entscheidung ist gefallen und lässt sich nicht wieder rückgängig machen. Ihr werdet sie akzeptieren müssen und versuchen, damit zu leben.«
Vater und Sohn erhoben sich von ihren Stühlen. Der General zupfte sich seinen Mantel über den Schultern zurecht. Als er sich umdrehte, schienen seine Augen in die Ferne zu blicken. »Wie ist es möglich? Wie konnte das nur geschehen?« Er sprach zu niemand Besonderem. Der Sohn sah seinen Vater aus zwei Schritt Abstand an, wie er es fast sein Leben lang getan hatte. Wieder zupfte der General seinen Mantel zurecht, und es versetzte seinem Sohn einen Stich, als er begriff, dass dieses Kleidungsstück, das Würde, Stolz und Macht bedeutet hatte, binnen weniger Minuten zum ganz gewöhnlichen Umhang eines alten Mannes geworden war, der sich bemühte, seine Gedanken und seinen Körper zu verbergen.
Die zwei Männer traten,
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