Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
entgegnete der
subedar
. »Zieht ihr gleich weiter? Meine Männer sind bereit, euch zu eskortieren, es sei denn, ihr wollt erst rasten.«
Dawa Khans Stirn hatte sich beim Angebot der Amtsperson, sie nicht nur weiterziehen zu lassen, sondern ihnen auch Schutz auf ihrem Zug zu gewähren, augenblicklich entwölkt. Es klang alles so vertraut, dass die Gerüchte, die sie gehört hatten, nur falsch sein konnten. Dann unterbrach Ghuncha Guls Stimme seine Gedanken. »Was höre ich da, dass die Grenzen geschlossen werden sollen, Dawa Khan? Einer meiner Soldaten brachte dieses Gerücht bei seiner Rückkehr aus dem Urlaub mit.«
»Ich habe ein ähnliches Gerücht gehört, und es hat mir gewisse Sorgen gemacht. Glaubst du, dass da etwas dran ist?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Es wäre doch gar nicht durchführbar. Es wäre so, als wollte man versuchen, Zugvögel oder Wanderheuschrecken aufzuhalten.«
Sie lachten beide eine Weile lauthals über diesen Vergleich. Dann wandte sich Dawa Khan zu Ghuncha Gul. »Ich habe mein Versprechen nicht vergessen. Ich habe für deinen Ziehsohn einen Welpen von meinen eigenen Hunden mitgebracht, wie du mich gebeten hattest. Wo ist der Junge? Ich würde ihn ihm gern geben.«
»Der Junge ist im Fort«, erwiderte Ghuncha Gul. »Er hat gerade Unterricht bei unserem Mullah. Ich werde ihm den Welpen in deinem Namen übergeben. Er wird ihn in Ehren halten.«
Dawa Khan ging zum hinteren Ende der langen Reihe von Kamelen und kehrte kurz darauf mit einem wild aussehenden Welpen im Schlepp zurück, der die ganze Zeit versuchte, sich von dem um seinen Hals gebundenen dicken Wollstrick zu befreien. Als er den Besitzer wechselte, knurrte er wütend. Dawa Khan sah dem Welpen, während man ihn wegführte, voller Zuneigung hinterher. »Ich glaube, aus ihm wird ein guter Hund werden«, sagte er. »Er hat eine kräftige Stimme und ist seinem Herrn treu.«
Ghuncha Gul und seine Soldaten schwärmten aus und bezogen ihre Positionen zu beiden Seiten der Karawane. Mit einem Soldaten alle fünfzig Schritt standen die
kirris
jetzt formell unter dem Schutz der Regierung. Die Anwesenheit der Soldaten hatte den Zweck, andere Stämme davon abzuhalten, die Karawane zu überfallen, denn das damit einhergehende Blutvergießen und die daraus folgenden Fehden hätten die Regierung in Schwierigkeiten gebracht. Jedes Fort war für eine Teilstrecke der Wanderung verantwortlich. Ghuncha Gul würde den Geleitschutz der Karawane den Soldaten des nächsten Forts übergeben, und die Eskorte würde dann zurückkehren, um auf die nächste
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zu warten.
Die meisten Soldaten der zwanzigköpfigen Eskorte waren vertraute Gesichter und Dawa Khan wohlbekannt. Im Laufe der Jahre war er ihnen immer wieder in dem einen oder anderen Fort begegnet. Sie waren ein besonderer Menschenschlag. Selbst Stammesangehörige, verbrachten sie ihr halbes Leben, von früher Jugend bis zum mittleren Alter, in irgendwelchen Gebirgs-Forts.
Außer während ihrer kurzen Heimaturlaube bekamen sie ihre Familien nie zu sehen. Der einzige Inhalt ihres einsamen Lebens bestand darin, staatliche Straßen und Einrichtungen zu schützen, unter den Stämmen das Gesetz aufrechtzuerhalten, Blutvergießen zu beenden, wenn es von einem bloßen Familienstreit zu einem Stammeskrieg auszuarten drohte, und Spekulationen über ihre eigene Versetzung und Beförderung anzustellen. Die einzigen zwei Zerstreuungen, die sie hatten, waren das abendliche Radiohören und Gespräche mit Fremden, die durch ihr Gebiet zogen.
Gul Jana saß mit ihrem Zweijährigen auf einer Kamelstute. Die Karawane bewegte sich mit Rücksicht auf die Soldaten in einem langsamen Tempo, und sie genoss dieses träge Dahinschreiten. Bei dieser Geschwindigkeit hatten die Bewegungen des Kamels nichts Abgehacktes und Ruckartiges. Das Tier wiegte sich so sanft wie Grasähren in einer leichten Brise. Ihr Kind schlief, und auch sie spürte allmählich die hypnotische Wirkung der gleichmäßigen Schritte des Kamels. Sie sah nach rechts hinunter. Dies war das dritte Mal, dass sie es in der letzten halben Stunde tat.
Der junge Soldat, der neben ihr herging, seit die Karawane sich in Bewegung gesetzt hatte, starrte sie noch immer an. Er war kleinwüchsig und schmal und sah mit seinem flaumigen Bart, der schon in ein paar Jahren kräftig und dunkel werden würde, sehr jung aus. Der Soldat errötete leicht, schien aber unfähig, die Augen von Gul Janas Gesicht abzuwenden.
Gul Jana zügelte ihr Kamel leicht und
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