Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
richtete sich im Sattel auf. »Du da!« Sie hielt sich eine Hand an den Mund. »Du da, der du mich schon die ganze Zeit anstarrst! Weißt du nicht, dass du kleiner als das Organ meines Mannes bist?«
Die Frauen auf den Kamelen hinter und vor ihr brachen in ausgelassenes Gelächter aus, desgleichen die Männer, einschließlich der Soldaten, die in Hörweite waren. Lachsalven zogen über die Karawane hin, während die Geschichte von Kamelrücken zu Kamelrücken und von Mann zu Mann weitergegeben wurde, und bald lachten alle mit Ausnahme des einsamen Soldaten, der sich nichts anderes wünschte, als im Erdboden zu versinken und zu sterben.
Ghuncha Gul wusste, wie der junge Soldat sich im Augenblick fühlte. Seine eigene Frau, die er jedes Jahr nur einen Monat lang in seinem Dorf besuchte, war düster, bieder und lächelte nur selten. Die Frauen der Ebene waren zurückhaltend, ernst und sittenstreng. Er beschloss, den Soldaten nicht zu bemitleiden. Eine solche Geste hätte ihn möglicherweise noch mehr verletzt, und auf jeden Fall war es für den Jungen besser, den derben, zotigen Humor der
pawindah
-Frauen zu erdulden, als irgendwelche ernsten Fehler zu machen.
Am Nachmittag erreichte die Karawane mit ihrer Eskorte das nächste Fort, das zugleich auch der Stützpunkt der Entlausungskompanie war, die sich um die dort durchziehenden Karawanen kümmerte. Diese Gruppen von Sanitätern waren dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass die Nomaden – Männer, Frauen und Kinder – frei von dem Ungeziefer waren, das man für den Überträger des Typhus hielt.
Dies war der Punkt, an dem Ghuncha Gul und der Zug sich von ihnen trennten. Zwei weitere Tagesmärsche brachten sie zum Randbezirk des größten Forts in der Gegend, Fort Sandeman, um das herum mit der Zeit eine Siedlung entstanden war. Mit jedem Tagesmarsch schien die Karawane ein wenig mehr von ihren Ängsten zu verlieren, und während sie den Kontakt zu den ihnen nachfolgenden
kirris
aufrechterhielten, verdrängten sie nach und nach die Gerüchte, die sie zu Beginn ihrer Wanderung so beunruhigt hatten. Mit Ausnahme Dawa Khans. Er konnte sich nicht völlig entspannen; jedenfalls nicht, bevor er Nachricht vom General empfangen hatte. Er überlegte sich, dass es sinnvoll sein könnte, mit seinen Leuten ein paar Tage Rast in Fort Sandeman einzulegen, um auf Nachrichten zu warten, den Frauen, Kindern und Tieren etwas Erholung zu gönnen und sein Versprechen dem General gegenüber zu erfüllen, Torak Khans Brautpreis von dessen Stiefvater zu bekommen.
Als er der
kirri
seine Entscheidung mitteilte, brach beträchtlicher Jubel aus; am meisten freuten sich die Frauen, die darauf beharrten, zum nächsten Baumbestand zu ziehen. Sie wollten stabile Äste um sich haben, an die sie die Wiegen ihrer Kinder hängen könnten. Für sie bedeuteten »Zuhause« und »Beständigkeit« lediglich einen Zwischenaufenthalt, der lang genug dauerte, um Wäsche waschen oder die Wiegen an die Bäume hängen zu können.
Am nächsten Morgen machte Dawa Khan mit seinen Gefährten auf dem Weg in den Ort einen Umweg über ein enges Tal durch eine Kakar-Siedlung, wo er noch etwas anderes zu erledigen hatte. Er hatte geschworen, den Mord an einem Cousin zu rächen, der Jahre zuvor von einem Angehörigen des Kakar-Stammes getötet worden war. Der Mörder war kurz nach der Tat eines natürlichen Todes gestorben und hatte eine Witwe und zwei junge Söhne hinterlassen. Als Dawa Khan um die Ecke bog und auf das Haus des lange verstorbenen Kakars zuging, sah er zwei hoch aufgeschossene Jünglinge vor dem Haus sitzen. Sie trugen lediglich lange Hemden und hatten keine Hosen an.
»Mögest du niemals müde sein, Onkel!«, riefen sie unisono, als sie Dawa Khan erkannten. Sie lachten, als sie den Gruß aussprachen.
»Mögt ihr niemals erschöpft sein«, entgegnete Dawa. Aus seiner Stimme sprach tiefste Enttäuschung. Jedes Jahr kam er in der Hoffnung, die Jungen würden inzwischen
shalwars
tragen, was bedeutet hätte, dass sie erwachsen geworden waren und er seinen Cousin rächen konnte. Der
pashtunwali
, der traditionelle Ehrenkodex der Paschtunen, verbot eindeutig jede Form von Rache an Frauen und Kindern. Das Anlegen der
shalwar
bezeichnete den Übergang ins Mannesalter, doch Jahr um Jahr betrogen ihn die Jungen, indem sie sich weigerten, Hosen anzuziehen. Gut möglich, dass diese tückischen Kakars die Absicht hatten, bis zum Ende seines Lebens keine
shalwars
zu tragen.
»Wie es mich juckt,
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