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Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)

Titel: Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jamil Ahmad
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von einem Gefühl tiefer Ohnmacht durchdrungen, auf die Straße und gingen los. Naim Khan brach das Schweigen, das sich wie ein Vorhang um seinen Vater gesenkt hatte.
    »Sollen wir Dawa Khan benachrichtigen?«, fragte er.
    »Was können wir ihm schon sagen?«
    »Die Wahrheit«, entgegnete der Sohn. »Was sonst?«
    »Was soll die ihm nützen? Die Tiere werden sterben. Zu Hunderten.«
    »Ja, aber Dawa Khan muss die Wahrheit erfahren.«
    Sie gingen eine Zeitlang schweigend weiter und dachten über die Auswirkungen nach, die die neuen Bestimmungen für sie und ihr Volk haben würden. Sie machten sich keine Hoffnungen, dass es ihnen möglich sein würde, für ihre Tausende von Stammesgenossen Reisepapiere zu bekommen; sie hatten keine Geburtsurkunden, keine Ausweise oder Gesundheitszeugnisse. Sie konnten die Herkunft ihrer Tiere nicht belegen. Das neue System würde mit Sicherheit den Tod einer jahrhundertealten Lebensweise bedeuten.
    Dann ergriff Naim Khan wieder das Wort. »Kopf hoch, Vater«, sagte er. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er den General so anredete. »Wir werden zur Hauptstadt dieses Landes reisen und den König dieser Leute aufsuchen. Er wird dir zuhören.« Er schwieg kurz. »Ja, das wird er bestimmt, Vater.« Naim Khans Stimme hatte einen flehentlichen Ton. Er wollte aus diesem geschlagenen und müden alten Mann den General wiederaufleben lassen.
    Währenddessen wartete Dawa Khan in Fort Sandeman nach wie vor auf eine Nachricht vom General. Er hatte diese Tage gut genutzt. Toraks Probleme waren gelöst worden. Sein Stiefvater hatte sich zu guter Letzt bereit erklärt, einen anständigen Brautpreis zu zahlen. Gewisse fällige Schulden waren ohne Schwierigkeiten eingetrieben worden, und auf dem örtlichen Markt waren größere Mengen Dörrobst und Nüsse gewinnbringend verkauft worden.
    Während dieser Zeit hatten drei weitere
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Fort Sandeman erreicht, und die Siedlung war von einem breiten Gürtel von Kamel- und Schafherden umgeben. Dawa Khan wurde allmählich unruhig. Durch die gestiegene Anzahl von Tieren waren die Weidemöglichkeiten sehr begrenzt, und es hatte schon erste hitzige Auseinandersetzungen gegeben, wenn die Herden einer
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denen einer anderen ins Gehege kamen.
    Die Botschaft des Generals erreichte Fort Sandeman am späten Abend. Überbracht wurde sie von einem staubbedeckten alten Mann, der asthmatisch keuchend aus einem klapprigen Bus ausstieg, worauf sofort nach Dawa Khan geschickt wurde. Als dieser eintraf, richtete der Bote die Mitteilung eilig aus, während der Bus auf ihn wartete und der Fahrer ungeduldig auf die Hupe drückte.
    Nachdem der Bus wieder abgefahren war, machten sich die Männer auf den Weg zurück ins Lager. Torak brach das Schweigen. »Ist dir etwas aufgefallen, Dawa Khan? Der General hat keine klaren Anweisungen und auch keine Empfehlung geschickt.«
    »Das ist uns allen aufgefallen«, erwiderte Dawa Khan leise. »Er überlässt es uns, zu entscheiden, was wir tun sollen. Wir müssen selbst zu einem Entschluss gelangen.«
    »Das sieht ihm überhaupt nicht ähnlich«, wandte Torak ein. »Der General hat schon immer alle Entscheidungen getroffen.«
    »Ich weiß, ich weiß«, beschwichtigte ihn Dawa Khan. »Aber diesmal möchte er, dass
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entscheiden. Wir wollen unsere Bürde doch nicht auf jemand anders abwälzen. Lieber wollen wir selbst entscheiden. Wir treffen uns nach der Abendmahlzeit.«
    Nachdem der Abend zur Nacht geworden war und sie sich versammelt hatten, berichtete Dawa Khan den Männern, was er vom Boten des Generals erfahren hatte. »Der General hat nicht ein Wort mehr als das übermittelt, was ich euch gesagt habe. Er hat uns keine Anweisungen und keinen Rat geschickt, und er wünscht ganz offensichtlich, dass wir selbst zu einer Entscheidung gelangen. Es ist keine einfache Entscheidung, aber entscheiden müssen wir uns, denn wir haben die Gastfreundschaft dieser Stadt schon überbeansprucht, und die Weiden sind fast abgegrast. Wir müssen ziehen, sei es weiter, sei es zurück. Ziehen wir nach Afghanistan zurück, werden wir ziellos umherirren, bis der Winter vorüber ist und auf unserem Hochland der Schnee schmilzt. Diese Wintermonate werden für uns und unsere Herden bitter sein. Wir werden nichts verdienen können, weder durch Handel noch durch Arbeit, und unsere Tiere werden hungern, da ihnen die Weidegründe in der Ebene verwehrt sein werden.
    Dann gibt es sicher jene unter uns, die sagen werden, dass wir schon weit gewandert sind

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