Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
ergeben.«
Sobald der Assistant Commissioner verstummt war, erhob sich ein lautes Murmeln aus dem versammelten
jirga
. Die Männer begriffen, dass sie tatsächlich in der Zwickmühle steckten. Die Bedingungen des Abkommens waren eindeutig, andererseits waren die Bhittanis nur ein kleiner Stamm, der unmöglich die Aufgabe auf sich nehmen konnte, ausgerechnet die Mahsuds dazu zu zwingen, die Gefangenen freizugeben oder die Beschuldigten auszuliefern.
Nachdem sie sich eine Zeitlang besprochen hatten, signalisierten sie, dass sie zu einem Ergebnis gelangt seien. Sobald die Männer sich beruhigt hatten, erhob sich ein alter Bhittani – der Ranghöchste unter den anwesenden Ältesten – mit Hilfe eines langen Stocks, der über und über mit kleinen Ziernägeln beschlagen war.
»Sahib«, hob er mit dünner, zittriger Stimme an, »du hast recht. Die Bedingungen des Abkommens sind eindeutig, und ebenso eindeutig sind die Pflichten, die sich für uns daraus ergeben. Ja es beeindruckt uns zutiefst, dass du, der du so jung und zart an Jahren erscheinst, so viel Mühe und so viel Arbeit auf dich genommen hast, sie zu studieren.«
Er hielt inne und ließ seinen Blick auf den zu ihm aufschauenden Gesichtern ruhen. In seinen Augen funkelte stolzes Vergnügen über den Stich, den er dem jungen Beamten verpasst hatte. Dies wurde von seiner Zuhörerschaft sofort mit unverhohlenem Grinsen und Schmunzeln gewürdigt. Der Polizeibeamte errötete vor Zorn und Verlegenheit.
»Sahib, auch uns ist die Schande bewusst, die Gesetzlose über unseren Stamm gebracht haben, indem sie unser Gebiet benutzten, um sich Zutritt zu eurem Land zu verschaffen. Das ist in der Tat eine schreckliche Beleidigung für uns. Allerdings« – er hielt wieder inne, ehe er fortfuhr – »würde ich dir gern eine Geschichte erzählen.«
Die Menge verstummte und lauschte gespannt der Stimme des alten Mannes, die mit einem Mal klar und scharf wie der Klang gezupfter Saiten eines Musikinstruments war.
»Es wird erzählt, Sahib, dass einst ein Junge und ein Mädchen durchbrannten und sich bemühten, ihre Elternhäuser möglichst weit hinter sich zu lassen, als sie plötzlich von einer Horde von Schurken umgeben waren. Diese Rohlinge, Männer ohne Ehre, umzingelten das Paar und entehrten das Mädchen, wobei sie beide mit dem Tod bedrohten. Dadurch noch nicht befriedigt, forderten sie den jungen Mann auf, sich auszuziehen, und vergnügten sich auch noch mit ihm. Nachdem sie all das getan hatten, ließen diese entsetzlichen und gemeinen Burschen das Paar liegen und gingen davon. Nachdem ihre Peiniger verschwunden waren, beruhigten sich der junge Mann und das Mädchen und zogen sich wieder an. Sobald seine Furcht verflogen war, wurde der junge Mann wütend auf das Mädchen. Er warf ihr vor, sich als unzuverlässig, verräterisch und untreu erwiesen zu haben. Er warf ihr außerdem vor, keinerlei Schamgefühl oder Anstand zu besitzen, da sie es zugelassen hatte, dass so viele Männer ihren Körper schändeten.
Das Mädchen dachte eine Weile nach. Dann straffte sie ihre Schultern, sah den jungen Mann an und antwortete. Wisst ihr, welche Antwort sie ihm gab?«
»Sag’s uns, sag’s uns!«, rief die Menge, von der Geschichte gebannt.
»Nun, das Mädchen sprach so: ›Mein Geliebter‹, sagte sie, ›du hast recht. Mein Körper ist geschändet worden, aber bedenke eines. Mein Körper ist von der Natur zu ebendiesem Zweck geformt worden. Was mir angetan wurde, war in der Tat falsch, aber es ist gewissermaßen genau das, wozu mich die Natur geschaffen hat. Schau jetzt dagegen dich selbst an, du bist ein Mann. Du wurdest nicht dazu geschaffen, so benutzt zu werden, wie diese Bösewichter dich benutzt haben. Dennoch leistetest du ihnen keinen Widerstand. Du ließest es zu, dass sie dich ebenso schändeten, wie sie mich geschändet haben. Was hast du dazu vorzubringen?‹«
Der alte Mann hielt inne, um seine Geschichte wirken zu lassen, bevor er fortfuhr. »Das also, Offizier-Sahib, sagen wir dir. Wir, die Bhittanis, sind, verglichen mit den Mahsuds, ein schwacher Stamm. Doch die Natur hat uns zu ihren Grenznachbarn gemacht. Aus diesem Grunde müssen die Mahsuds unser Land benutzen, wenn sie das ihre verlassen oder dorthin zurückkehren wollen. Es gefällt uns nicht, aber wir können sie nicht daran hindern. Uns fehlt die Macht, über die sie verfügen.
Aber was ist mit euch? Was ist mit eurer ganzen Polizei und all den Leuten in den Distrikten, die sich einfach
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