Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
inzwischen miteinander in Funkverbindung standen. Und eben über Funk einigten sie sich darüber, wie das Problem zu handhaben sei. Als ersten Schritt hatten sie beschlossen, dass man, da Mandos ein Mahsud war, die Häuptlinge und Ältesten des Mahsud-Stammes zusammenrufen und mit dem Auftrag ins Shaktu-Tal schicken würde, die Geiseln zurückzubringen, während eine ähnliche Gruppe aus dem Kreis der Wazirs losgeschickt würde, damit sie darauf achtete, dass Mandos nicht auf die – durchaus naheliegende – Idee kam, die Gefangenen auf Wazir-Territorium zu bringen.
Der Mahsud-
jirga
war in ausgelassener Stimmung. Die kommenden Tage würden für die Männer eine Art Urlaub sein, mit langen Palavern und dem Austausch von Witzen und Anekdoten auf Kosten der Regierung. Ein paar Tage lang musste man sich keine Gedanken um seine Familie machen. Stattdessen fand ein halbherziges Feilschen um das Lösegeld für die Geiseln statt, das durch längere Diskussionen über unterschiedliche Themen aufgelockert wurde, so zum Beispiel die sichersten Schmuggelrouten, die profitabelste Konterbande, die jeweiligen Vorzüge gegenwärtig auf dem Markt erhältlicher Waffen, die steigenden Preise für Munition und alles, was derzeit an gesellschaftlichem Tratsch und Skandalen in der Gegend im Umlauf war.
Der
jirga
hatte achtzehntausend Rupien in bar mitgenommen. Die Entführer wussten das sogar schon vor seiner Ankunft. Das Gefeilsche zog sich drei Tage hin, bis man sich schließlich auf zwanzigtausend Rupien einigte. Als der Handel perfekt war, reduzierte Daulat Khan, das Oberhaupt der Entführerbande, den vereinbarten Betrag – als Geste der Gastfreundschaft gegenüber dem
jirga
seines Stammes – liebenswürdigerweise um zweitausend Rupien.
Geld und Gefangene wechselten den Besitzer, und wieder war ein Entführungsfall aus Waziristan abgeschlossen.
Der Führer
Und sind meine Ähren auch taub, mögen sie
doch so hoch stehen wie die meines Rivalen.
Sprichwort der Afridis
S eit über einem Vierteljahrhundert hatte die Vorstellung, diese Reise zu unternehmen, auf die eine oder andere Weise mein Leben beherrscht. Die ersten paar Jahre lang hatten mein Vater und ich gemeinsam davon geträumt. Er sprach davon, zum Land seiner Geburt zurückzukehren, und ich schwelgte in der Vorstellung, dem öden Unterricht in der kleinen deutschen Dorfschule, die ich besuchte, zu entkommen und zusammen mit meinem Vater auf Abenteuersuche davonzuziehen. Doch die Wirklichkeit war härter. Es waren Jahre der Armut, in denen sich meine Eltern buchstäblich krummmachen mussten, um aus dem kleinen Hof in Bayern, den meine Mutter geerbt hatte, ein karges Auskommen herauszuwirtschaften. Dann kam der Krieg, und all unsere Hoffnungen mussten hintangestellt werden. Als der Krieg endete, starb mein Vater, und es blieb mir überlassen, unsere Träume zu hegen und am Leben zu erhalten, während die Zeit verrann und die Reise Jahr für Jahr hinausgeschoben werden musste. Endlich, nach jahrelangen Enttäuschungen, kam eine Zeit, da das Schicksal, statt sich weiter gegen mich zu verschwören wie bisher, mir plötzlich zuzulächeln schien, und da packte ich die Gelegenheit beim Schopf und entschloss mich, aufzubrechen.
Sobald meine Entscheidung feststand, überprüfte ich sorgfältig, wo meine Grenzen lagen. Meine Paschto-Kenntnisse – ohnehin nie so gut, wie mein Vater es sich gewünscht hatte – waren seit seinem Tod durch Nichtgebrauch beträchtlich eingerostet. Zwar hatte ich sie während der wenigen Monate, die ich im Auftrag meiner Firma in Kabul verbracht hatte, ein wenig aufzufrischen versucht, aber mir fehlte die nötige Sicherheit, um diese Sprache spontan und natürlich zu gebrauchen. Hinzu kam das unbehagliche Wissen darum, dass Tirah für jeden außer einem echten Afridi ein verbotenes Land war und jeder, der dieses ungeschriebene Gesetz übertrat, sich in ernste Gefahr begab. Auch fühlten sich die Kleidung der Stammesangehörigen meines Vaters – weite graue Baumwollhose, ein langes Hemd, eine Weste, eine schwarze Decke auf den Schultern und Sandalen aus rohem, ungegerbtem Leder an den Füßen – trotz allen guten Willens unbequem und fremd an. Ich fühlte mich wie ein Ausländer. Mein einziger Vorteil war die Tatsache, dass Freunde mir zwei Führer empfohlen hatten, auf deren Loyalität und Treue ich mich verlassen könne.
Wir traten in das größere der zwei Zimmer der Hütte, die nur ein paar Kilometer jenseits der Stelle lag, wo wir
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