Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
gelegentlich bewarf. In der dritten Nacht aber wurde ein ernsthafter Versuch unternommen, die Tiere aufzuschrecken und ihre Haltestricke durchzuschneiden. Nun konnten die Provokationen nicht mehr ignoriert werden, und die Männer fassten den einstimmigen Beschluss, von nun an die Tiere bei Nacht zu bewachen.
Das Unheil ereilte die Gruppe zwei Nächte später. Plötzlich ertönte der Lärm von Knallkörpern; die wütenden Rufe der Männer, das Geschrei der Frauen und Kinder und die verängstigten, durchgehenden Tiere trugen zum Tumult bei.
Als der Tag anbrach und die Männer zurückkehrten, nachdem sie ihre Tiere zusammengetrieben hatten, stellten sie fest, dass ein paar Schafe fehlten; dann wurden sie von Jammern und Geschrei aufgeschreckt. Sie liefen zu ihren Zelten. Als sie das Durcheinander sahen, rannten sie fieberhaft umher und versuchten, die Frauen und Kinder dazu zu bewegen, aus dem Unterholz, in dem sie kauerten, herauszukommen. Und da entdeckten sie, dass drei Frauen fehlten – darunter Sherakai. Sie suchten fieberhaft, aber sie wussten, dass ihre Bemühungen vergebens waren. Ihr Mann stand mit seinen drei Töchtern wie benommen da.
Er konnte sich unmöglich um sie kümmern. Er beschloss, seine Töchter in Pflege zu geben, während er nach seiner Frau suchen würde. Jedem, der bereit wäre, die Verantwortung für sie zu übernehmen, bot er zwei seiner Büffel an. Für das jüngste Mädchen, das zu schwach zum Laufen war, bot er drei an. Sie sollten seine Töchter beschützen, bis die Mutter gefunden wäre und wieder zu ihnen stoßen könnte.
Tor Baz schlief tief und fest im Gasthof eines nahegelegenen Dorfs. Einige Edelsteinhändler in Peshawar, die davon erfahren hatten, dass in Bergen kürzlich Halbedelsteine – Peridot, Turmalin und Topas – entdeckt worden seien, hatten ihn mit Handlungsvollmacht und einer kleinen Summe Geldes losgeschickt. Er sollte Näheres über die Fundstätten, über verlässliche Kontaktpersonen und über angemessene Verkaufspreise in Erfahrung bringen. Er beabsichtigte, das erste Geld für den Ankauf von Probestücken zu verwenden, damit man die Qualität der Steine beurteilen konnte.
Auf dem Weg zum Steinbruch hatte Tor Baz beschlossen, in Mian Mandi, einem für seinen Sklavenmarkt allgemein bekannten Dorf, Zwischenstation zu machen. Er war noch niemals dort gewesen. Es lag auf dem Gebiet des Mohmand-Stammes, aber sein Gefühl sagte ihm, dass er dort möglicherweise einige nützliche Informationen sammeln könnte – Händler waren an Markttagen immer gern bereit, Klatsch auszutauschen.
Das Geräusch eines vorbeifahrenden Lasters riss ihn aus seinem Schlummer. Er meinte eine Frau schreien zu hören, doch er war sich nicht sicher. Tor Baz versuchte, wieder einzuschlafen, doch es gelang ihm nicht; also stand er auf, zog seine Schuhe an und nahm seinen Beutel. Er weckte den Wirt, trank eine Tasse Tee und machte sich auf den Weg zum Markt.
Die Ehe der Shah Zarina
W enn man von der Hauptstraße abbiegt und dem Tal folgt, geht es stetig aufwärts, bis die Piste nach ungefähr neun Kilometern endet. Dort, eingebettet zwischen waldigen Hängen, befindet sich eine kleine Siedlung – Wohnhäuser, ein paar Läden, ein Polizeiposten, eine Schule, eine Apotheke und eine Moschee. Ein ungewohnter Anblick, denn in diesen Bergen wohnen die Menschen gewöhnlich nicht in Dörfern.
Abends, wenn die Küchenfeuer angezündet werden, sieht man fast nie mehr als zwei Lichtpünktchen an der gleichen Stelle nebeneinander flackern. Was diese Gruppe von Gebäuden und Häusern zusammenbrachte, war der bedauerliche Umstand, dass dies jahrelang der Biwakplatz der Jagdgesellschaften gewesen war, die dem Monal nachstellten – einer schönen grün-blau schillernden Glanzfasanart, die inzwischen vom Aussterben bedroht ist.
Die Entdeckung, dass es in dem Gebiet Glanzfasane gab, bescherte der Gegend, in der Fateh Mohammad, der Gujjar, lebte, »Entwicklung«. Die alljährlichen Besuche einheimischer Fürsten und ausländischer Würdenträger förderten die Errichtung öffentlicher Gebäude aus Zement und Beton, mit Schornsteinen und Glasfenstern. Auch ein kleiner Wasserkraftgenerator wurde installiert.
Unter der Unzahl von Stämmen, die diese Grenzregion bewohnten, stellten die Gujjars eine merkwürdige Ausnahmeerscheinung dar. Das Seltsame an ihnen war, dass sie sich trotz ihrer großen Kopfzahl und potenziellen Stärke gern damit zu begnügen schienen, im Schatten ihrer Nachbarn zu leben.
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