Der Weg des Unsterblichen
war. Also bin ich weggerannt. Die Engel haben mich verfolgt, bis in den Wald, wo Azriel sie alle getötet hat.« Ich sah Nero an und spürte, dass meine Stimme zitterte. Versucht tapfer schluckte ich die aufsteigenden Tränen hinunter. »Aber sie haben auch ihn erwischt mit ihrenvergifteten Waffen. Also habe ich an diesem Abend viele teure Freunde verloren und meinen Vater.«
Neros Blick war fassungslos. War er erschrocken darüber, wie kaltherzig seine Artgenossen mir viele, liebe Freunde genommen hatten? Oder schockierte ihn mehr die Tatsache, dass Azriel eine ganze Gruppe Unsterblicher allein umgebracht hatte?
»Naja, jetzt kennst du die Geschichte auf jeden Fall.« Ich schloss meinen Spind ab und seufzte. »Hast du sonst noch Fragen?«
Ich bemühte mich, es freundlich klingen zu lassen, auch wenn ich mich momentan nicht im Geringsten danach fühlte. Aber Nero trug keine Schuld an den Dingen, die damals passiert waren und die auch nach acht Jahren noch in meinem Inneren brannten wie ein vernichtendes Feuer, wenn ich daran dachte. Ich durfte ihn nicht für etwas verantwortlich machen, was nicht seine Schuld war.
»Ja.« Nero nickte langsam. »Hasst du uns Unsterbliche deswegen so?«
Er wirkte auf einmal ernsthaft betroffen, was mich ziemlich überraschte. »Ich hasse euch nicht generell, immerhin haben wir Menschen euch ziemlich viel zu verdanken. Ich hasse nur die Regierungsform, die uns zu Haustieren degradiert.« Ich schüttelte den Kopf, als müsse ich mich selbst ermahnen. »Ich habe dir ja schon erzählt, dass mein Vater mir beigebracht hat, allen Wesen vorurteilsfrei zu begegnen. Also auch euch Unsterbliche. Aber wenn ich ganz ehrlich bin… Ich kann Aniguel nicht leiden. Er ist ein widerlicher Redenschwinger, der genau weiß, wie er uns Menschen mit seinen Worten beeinflussen kann. Seit er mit dem neuen Magistrat an der Macht ist, haben wir nichts als Scherereien.«
Nero sah mich für ein paar Sekunden still an, bevor sich seine Mundwinkel amüsiert nach oben bewegten. »Aniguel ist mein Vater.«
Beinahe hätte ich mich vor Schreck an meiner eigenen Spucke verschluckt, als er diese Worte aussprach. Ungläubig starrte ich ihn an, bis mir bewusst wurde, was ich da eben von mir gegeben hatte.
»T-tut mir leid, Nero!«, stammelte ich hochintelligent zusammen. »Ich meine… vielleicht habe ich ihn ja doch falsch eingeschätzt, immerhin kenne ich ja auch nur das Gesicht, das er uns in der Öffentlichkeit zeigt…«
Nero zuckte mit den Schultern und aus irgendeinem Grund schien er wirklich belustigt. »Ich gebe zu, dass es nicht einfach ist, ihn zu mögen. Auch ich bin noch nicht dahinter gekommen, wie das geht. Aber euch behandelt er wenigstens wie seine Kinder.«
Das Thema war mir wahnsinnig peinlich und ich spürte, dass mein Gesicht rot wurde. »Es tut mir leid, Nero.«
»Warum entschuldigst du dich?«
Als Antwort blieb mir nur ein unsicheres Schulterzucken. Ja, warum eigentlich? Immerhin war ich ja nicht schuld an seinen Familienverhältnissen. Und trotzdem tat er mir in diesem Moment unglaublich leid. Wahrscheinlich war er wirklich nicht so ein schlechter Kerl, wie ich zu Anfang gedacht hatte. »Ich war wohl einfach überrascht, dass er dein Vater ist. Das kam so unerwartet.«
»Du meinst, dass wir uns nicht ähnlich sehen?« Er lächelte.
Ob sie sich ähnlich sahen? Meiner Meinung nach sahen alle Unsterblichen gleich aus. Aber das konnte ich nicht sagen, schließlich wollte ich Nero nicht verletzen. Wenn ich ernsthaft darüber nachdachte, hatten sie wohl das gleiche Gesicht, wie Vater und Sohn es so oft hatten.
Scheinbar hatte sich mein nachdenkliches Schweigen länger hingezogen als gedacht, denn Nero erbarmte sich dazu, mir auf die Sprünge zu helfen: »An einer Sache ist es eigentlich ganz gut zu erkennen, dass wir miteinander verwandt sind, aber das kannst du nicht wissen. Du kennst doch dass Tattoo an seinem Oberarm, nicht wahr?«
Ich nickte. »Natürlich, der schwarze Flügel. Aufgrund von diesem Tattoo haben doch alle gedacht, dass er ein Gesandter von Gott ist, ein Engel.«
»Genau.« Nero nickte. »Es ist aber mehr eine Art künstlich erzeugtes Familienmal. Jeder von meinen Vorfahren trug dieses Bild an der gleichen Stelle.« Er hob den linken Arm und zog sein T-Shirt zurück. Und tatsächlich: Auch seinOberarm wurde von den feinen, schwarzen Federn geziert, die sich zu dem Bild eines Flügels vereinten. Es sah wirklich wunderschön aus auf seiner Haut, nicht so protzig wie bei
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