Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
sah ihr nach.
» Worum ging es denn dabei?«
» Familienangelegenheiten«, sagte ich und verstärkte meinen Griff um den Umschlag. » Glaube ich.«
» Was ist in dem Umschlag?«
» Finden wir es doch heraus.« Wir schlüpften wieder hinein und suchten uns ein leeres Klassenzimmer. Ich öffnete den Umschlag und breitete die Papiere auf einem der hinteren Tische aus.
» Es ist ein Bericht über eine Verhaftung«, sagte ich.
Lena deutete auf den Datumsstempel. » Das war in der Nacht des Einbruchs. Hat Colin nicht gesagt, dass wir die Polizei heraushalten sollen?«
» Wir haben keine Anzeige erstattet.« Der Bericht schilderte eine Verkehrskontrolle, die sich zu einem Verstoß gegen das Waffengesetz ausgewachsen hatte – drei Männer waren vier oder fünf Blocks von unserem Haus entfernt gestoppt worden, weil sie zu schnell gefahren waren. Als der Polizist den Führerschein des Fahrers überprüft hatte, hatte er bemerkt, dass gegen alle drei Fahrzeuginsassen Haftbefehle vorlagen, hatte das Fahrzeug durchsucht und zwei Pistolen gefunden. Sie waren zwar nicht geladen gewesen, aber es war trotz allem ein eindeutiger Verstoß gegen das Pistolenverbot in der Stadt.
» Das müssen die Typen gewesen sein, die in euer Haus eingebrochen sind.« Lena beugte sich über den Tisch. » Siehst du? Sie sind in die Gegenrichtung gefahren, weg aus dem Viertel. Und das direkt nach dem Einbruch. Was sind das für andere Zettel?«
» Ihre Registerauszüge.« Alle drei waren als Handlanger von Marco Forelli bekannt.
» Von dem habe ich schon gehört«, sagte Lena. » Beim letzten Familiengeheimnis-Prozess. Er war derjenige, der damals davongekommen ist. Mehrere Zeugen haben ihre Aussagen zurückgezogen.«
» Auf so etwas achtest du?«, fragte ich überrascht. » Ich blende das immer aus.«
» Ich achte auf alles«, sagte sie. » Wenn die Typen, die in euer Haus eingedrungen sind, für Marco Forelli arbeiten, dann waren es keine Russen.«
» Sie gehören zur Mafia.« Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und setzte immer mehr Puzzlestücke im Kopf zusammen.
» Warum sollten die Leute deines Onkels dich bedrohen? Sie wollen doch, dass du auf ihrer Seite stehst. Läuft das ihren Interessen nicht zuwider?«
» Ein Täuschungsmanöver«, sagte ich, und die letzten paar Teile rasteten ein. Ich stopfte die Papiere in meine Schultasche. » Ich muss los. Bitte, Lena, bitte, erzähl niemandem davon.«
Sie wirkte gekränkt. » Das tue ich doch nie.«
Colin ging auf dem Hof auf und ab. » Was sollte das denn alles?«, fragte er. » Es war schon vor zwanzig Minuten Schulschluss.«
» Ich muss zum Slice.«
» Warum?«
Ich wollte es ihm sagen, aber solange ich keine Beweise hatte, konnte ich mich dazu nicht überwinden. Es klang verrückt, dass Billy und Forelli hinter dem Einbruch und dem Feuer stecken sollten, dass sie alles nur getan hatten, um mich zu manipulieren. Aber Juri Ekomow hatte mich nie als Bedrohung betrachtet, nur als potenzielle Verbündete.
Für meinen Onkel hatte ich in meiner Unberechenbarkeit und meinem Zorn eine Gefahr dargestellt. Er hatte verhindern müssen, dass ich aus der Reihe tanzte – warum also hätte er es nicht mit Einschüchterung versuchen sollen, besonders, wenn er mich gegen seine Feinde einsetzen konnte?
» Ich brauche ein paar Papiere aus dem Büro, wenn es noch steht.«
Er musterte mich aufmerksam. » Ist alles in Ordnung?«
» Das wird es bald sein.« Er wusste es nicht. Er konnte es unmöglich wissen, sonst wäre er in der Nacht des Einbruchs nicht so besorgt gewesen. Er war über den Brand genauso überrascht gewesen wie ich. Tess sorgte ja vielleicht dafür, dass er Billy treu ergeben war, aber Colin hätte nie die Unwahrheit über etwas so Wichtiges gesagt. Es stand mittlerweile besser zwischen uns. Wir waren stärker. Billy musste die Sache auch vor Colin geheim gehalten haben, und bei dieser Erkenntnis durchlief mich ein Schauer, aus Gründen, die ich nicht recht benennen konnte.
Im Slice tastete ich mich durch den Schutt. Was das Feuer überstanden hatte und was nicht, folgte keiner Logik. Der große Mixer, in dem meine Mutter den Teig für Pastetendeckel angerührt hatte, war zu Schlacke zerschmolzen, aber ein paar Schritte entfernt davon war ein Regal voller Kaffeetassen so gut wie unberührt geblieben. Die Tür zum Büro war geschwärzt, aber ansonsten heil. Ich drehte versuchsweise den Griff und ging hinein. Drinnen sah alles fast normal aus. Wasser stand in Pfützen auf dem
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