Der Weg in die Dunkelheit 3: Die Schöpferin (German Edition)
und die Schwerkraft aussetzte und alles nach Asche und Zorn schmeckte, lebte man weiter. Nicht immer gut oder glücklich. Manchmal zwang man sich auch nur, noch einen Atemzug zu tun, noch einen Schritt. Manchmal wünschte man, man würde es nicht tun. Aber am Ende lebte man weiter. Weil die Verstorbenen es nicht konnten und man es ihnen schuldig war.
Man lebte weiter.
Kapitel 46
» Ich muss los«, sagte Colin.
Wir standen auf der Veranda. Er hatte meine Mutter in den Arm genommen, sich von Marguerite verabschiedet und Luc zugenickt. Das Licht aus der Küche beleuchtete kaum sein Gesicht, und ich schaltete die Lampe ein. Ich wollte ihn klar sehen. Ich wollte, dass er mich sah.
» Dein Vater hat mich angerufen, unmittelbar, nachdem du mit Luc verschwunden warst. Da hat er mir alles erklärt. Ich schwöre dir, Mo, vorher wusste ich nicht über die Sache mit dem FBI Bescheid, sonst hätte ich es dir gesagt. Ich dachte bis dahin, er würde nur versuchen, einen Weg zu finden, dich aus der Abmachung loszubekommen, das ist alles. Sich selbst gegen dich eintauschen.«
» Das hat er getan«, sagte ich leise.
Er berührte behutsam meine Wange. » Er hatte recht. Du hast deine Sache gut gemacht.«
Ich rieb mir die Augen, die sich von dem Übermaß an Tränen ganz körnig anfühlten. » Du bist derjenige, der zurückgekommen ist. Das hättest du nicht tun müssen.«
» Wie oft habe ich dir das schon gesagt? Ich will, dass du in Sicherheit bist. Und glücklich.« Er warf einen Blick über meine Schulter ins Haus. » Du könntest mit uns kommen, wenn du willst. Wir können irgendwo neu anfangen. Glücklich sein.«
Ich versuchte zu lächeln, aber es gelang mir nicht. » Du hast mir einmal gesagt, dass du dir immer ein ruhiges Leben gewünscht hast. Weißt du noch?«
Er nickte.
» Das hast du verdient«, sagte ich. » Ich wünsche es mir für dich. So sehr.«
» Aber nicht für dich, nicht wahr?« Er schloss kurz die Augen, und der Schmerz war ihm deutlich am Gesicht abzulesen. Irgendetwas verdrehte sich in mir, und mir kamen von neuem die Tränen. » Ich habe mir schon gedacht, dass du das sagen würdest.«
» Ich will, dass du ein wirklich schönes Leben hast, verstehst du?«
Er küsste mich sanft, und seine Lippen fühlten sich auf meinen fest und verlässlich an. » Ich werde es versuchen. Aber… versprich mir eines, Mo.«
» Was denn?«
» Dass du ein ganz großartiges Leben führen wirst. Tu all die Dinge, zu denen du dich nie imstande gefühlt hast– und sogar noch mehr.« Er lachte leise. » Und mach Luc die Hölle so heiß, wie du nur kannst. Also sehr. Ich sollte das wissen.«
» Abgemacht«, sagte ich.
Er nickte und ging allein nach draußen. Ich blieb oben an der Treppe stehen, schlang die Arme gegen die Kälte um mich und sah ihn davongehen. Er drehte sich noch einmal um, und ich hob zum Abschied die Hand und wusste, dass ich ihn zum letzten Mal sah.
Dann war er fort.
Ich machte das Licht aus, setzte mich im Dunkeln auf das uralte Korbsofa, lauschte dem Geräusch des Schnees, der schmolz und von der Dachrinne tropfte, und betete– zu Gott, zur Magie oder zum Schicksal oder zu jedem anderen, der mir vielleicht zuhörte–, dass Colin in Sicherheit und glücklich sein und mich nicht hassen würde.
Nach kurzer Zeit kam Luc auf die Veranda und setzte sich ans andere Ende des Sofas. » Hat er dich gebeten, mit ihm zu kommen?«
» Ja.«
Er zupfte an der Armlehne des Sofas herum, brach ein mürbes Stück Rattan ab und setzte es in Brand wie eine winzige Kerze. » Willst du mitgehen?«
» Ich bin hier«, sagte ich und sah zu, wie die Flamme Schatten auf sein Gesicht warf. » Was glaubst du?«
Er zuckte mit einer Schulter. » Ich glaube, deine Mutter braucht dich jetzt. Aber langfristig…«
Ich konzentrierte mich, schob genug Magie in unsere Bindung, um sie sichtbar zu machen, und hob die Hand, so dass der dünne Silberfaden zwischen uns leuchtete. » Ich entscheide mich für dich«, sagte ich. » Für dich. Und mich. Für immer.«
Später, nachdem die Polizei mit ernster Miene und einstudiertem Mitgefühl da gewesen war, nachdem Pater Armando uns besucht hatte, um zu beten und Zeugnis abzulegen, nachdem meine Mutter allein nach oben gegangen war und jede Hilfe abgelehnt hatte, lag ich auf dem Sofa, den Kopf in Lucs Schoß, die Finger mit seinen verschränkt.
» Du solltest dich ausruhen«, sagte Marguerite. » Du warst die ganze Zeit so stark, aber deine Mutter wird dich morgen sogar noch mehr
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