Der Weg in die Dunkelheit 3: Die Schöpferin (German Edition)
sie bewegte sich mit so viel angeborener Eleganz, dass man es leicht vergaß. Sie war derart klein und zierlich, dass sie Luc, der sie nun vorwärtsführte, kaum bis an die Schulter reichte. Ich erhaschte einen Hauch von Freesienduft, als sie mich umarmte.
» Dein Vater ist drinnen«, sagte sie zu Luc und ließ die Hand auf meinem Arm ruhen. » Und schlecht gelaunt. Hattet ihr eine Auseinandersetzung, bevor du gegangen bist?«
Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. » Das Übliche.«
Sie seufzte. » Ich nehme an, es ist gut, dass jemand dem Mann Paroli bietet. Ich bin dazu jedenfalls nicht in der Lage.«
Luc gestattete sich ein winziges Lächeln. » Du musst ihm nicht Paroli bieten, Maman. Er liegt dir doch ohnehin andauernd zu Füßen.«
» Ab mit dir«, sagte sie und scheuchte ihn mit einer Handbewegung weg, während ihr freudige Röte in die Wangen stieg. Ich hatte den Verdacht, dass Luc völlig recht hatte. Dominic mochte ja der Patriarch des Hauses sein, aber Marguerite war das Familienoberhaupt. » Sag ihm, dass wir gleich nachkommen– und dass er sich benehmen soll, wenn wir dann da sind.«
» Als ob er auf mich hören würde!«, knurrte Luc.
Ich genoss es, die offenkundige, unbeschwerte Zuneigung zwischen ihnen zu beobachten, die Art, wie Luc seine Verpflichtungen und die Last seiner Stellung zu vergessen schien. Diese Seite an ihm bekam ich nur selten zu sehen, und sie war unerwartet reizend.
» Sohn«, rief sie ihm nach, und er blieb stehen, um uns über die Schulter einen Blick zuzuwerfen. » Benimm du dich auch.«
» Ja, gnädige Frau«, sagte er mit einem merklichen Mangel an Begeisterung.
Als er gegangen war, wandte sich Marguerite wieder mir zu. » Es ist so schön, dass du hier bist, Mo. Ich habe mich schon gefragt, wie du zurechtkommst.«
Es hätte leichter sein sollen, Marguerite zu belügen, weil sie meinen Gesichtsausdruck ja nicht sehen konnte, aber ich versuchte es noch nicht einmal. » Ich habe Angst.«
» Natürlich hast du die. Jeder, der auch nur einen Funken Verstand hat, würde sich fürchten. Eine Spaltung ist etwas Entsetzliches, und dafür allein sollte Anton Renard gevierteilt werden.« Sie zog die Nase hoch und strich den Kaschmirschal zurecht, den sie um die Schultern trug. » Aber ich meinte die Magie. Gewöhnt ihr beiden euch aneinander?«
Ihr beiden. Marguerite wusste Bescheid. Ich hatte mich nach unserer letzten Begegnung gefragt, ob sie erkannt hatte, was geschehen war, und erraten hatte, wie es um die wahre Natur der Magie stand. Das hatte sie eindeutig. Und genauso eindeutig hatte sie Luc nichts gesagt. Ich fragte mich, warum– und ob es hieß, dass ich gut daran tat, den Mund zu halten.
» So allmählich. Es ist ein stufenweiser Prozess.«
» Das kann ich mir vorstellen. Du hast Luc nichts gesagt.«
» Nein.« Wie sollte ich Marguerite nur erklären, dass ich, sogar nachdem er sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt hatte, noch nicht wusste, wem Luc die Treue hielt? Wenn er auf der Seite der Quartoren stand, konnte ich ihm nicht vertrauen. Wenn er auf meiner Seite stand… dann war das etwas, womit ich nie und nimmer zurechtkommen konnte. Es war sicherer, die Wahrheit verborgen zu halten, zumindest für den Augenblick.
» Deine Furcht ist verständlich«, sagte Marguerite. » Und du tust recht daran, ein solch machtvolles Geheimnis für dich zu behalten. Aber früher oder später wirst du es ihm erzählen.«
Ich schluckte. Sie bat mich nicht darum– sie traf eine Feststellung. » Wann?«
» Das ist deine Entscheidung.« Sie hielt inne. » Weißt du, ich kann nicht alles voraussehen. Nur Splitter der Zukunft, aus dem Kontext gerissen.«
» Das muss…« Beschissen sein, hätte ich gerne gesagt. » Schwierig sein.«
» Eigentlich ist es besser so. Ich wusste, dass ich Luc bekommen würde. Kannst du dir vorstellen, wie erstaunt ich war? Nach all den Jahren, als sein Bruder schon fast erwachsen war. Und da sah ich dann plötzlich noch einen Sohn, Jahre bevor er auf die Welt kam. Wenn ich alles, was geschehen sollte, im Voraus gewusst hätte, hätte ich es nicht genossen. Ich hätte ihn vielleicht sogar verabscheut, und das wäre schrecklich gewesen.«
» Das verstehe ich nicht.« Luc hatte, wie ich mich erinnerte, einen Bruder gehabt, aber er war gestorben. Luc sprach nie darüber. Marguerite musste über den Verlust am Boden zerstört gewesen sein, aber ich konnte mir nicht vorstellen, warum sie ihr einziges verbliebenes Kind hätte
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