Der Weg in die Dunkelheit 3: Die Schöpferin (German Edition)
halten. Irgendjemandwürde alles herausfinden. Aber für den Augenblick stand es mir nicht zu, das Geheimnis herumzuerzählen, und es war sicherer, den Mund zu halten. Ich hatte nur zu gut gelernt, wie gefährlich es war, impulsiv zu handeln.
» Willst du mit reinkommen?«, fragte ich, nachdem wir vor dem orangefarbenen Ziegelhaus meiner Familie angehalten hatten. » Sie werden noch eine ganze Weile weg sein.«
Er deutete auf das Auto auf der anderen Straßenseite. Einer der Männer meines Onkels war zu unserem Schutz hier postiert. Welch eine Ironie– die größte Bedrohung, der ich mich im Moment gegenübersah, war Billy selbst. » Ich habe nicht gern Zuschauer.«
» Es ist mir egal, was sie denken. Oder was meine Familie sagt.«
» Uns bleiben nur sechs Monate, bevor du weggehst, Mo. Willst du dir wirklich darüber mit deiner Familie in die Haare geraten?«
» Auf alle Fälle.« Wir hatten viel mehr Zeit, als ihm bewusst war, denn ich würde nicht nach New York gehen. Ich hatte nur noch keine Gelegenheit gefunden, ihm das zu erzählen. » Wir reden nie darüber. Dass ich weggehe.«
» Was gibt es da schon zu besprechen? Du gehst nach New York. Ich bleibe hier.« Er berührte meine Wange. » Sechs Monate. Wünsch sie dir nicht weg, Mo.«
Ich glaubte nicht an Wünsche, aber das musste ich auch nicht. Ich würde die Sache selbst in Ordnung bringen.
Kapitel 4
Wie schlimm alles war, sieht man schon daran, dass mir die Schule wie eine willkommene Alternative zu meinem Zuhause erschien. Bis Montagmorgen hatte ich so viele Versuche meiner Mutter abgewehrt, ein familiäres Beisammensein herzustellen, wie ich nur irgend konnte. Ich hatte meine Eltern so oft dabei erwischt, wie sie sich küssten, dass meine Netzhäute für den Rest meines Lebens Narben davontragen würden. Wenn sie nicht gerade knutschten, redeten sie über die Arbeit meines Vaters– oder vielmehr über die Tatsache, dass er keine hatte. Niemand war sonderlich erpicht darauf, einen Buchhalter einzustellen, der wegen Untreue im Gefängnis gesessen hatte. Niemand bis auf meinen Onkel.
Es war eine Erleichterung, in St. Brigid anzukommen, obwohl ich wusste, dass ich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses sein würde. Aufgrund der Rückkehr meines Vaters stand meine Familie wieder einmal im Rampenlicht, aber ich hatte reichlich Übung darin, Getuschel und hämisches Grinsen zu ignorieren. Wie immer war das Mittagessen der Teil des Tages, der am schwierigsten zu überstehen war. Die sozialen Beziehungen in der Cafeteria waren eine im ständigen Wandel begriffene Landschaft. Man tat gut daran, erst einmal das Terrain zu sondieren, bevor man sich für einen Platz entschied. Es gab Tretminen und Sümpfe und Wüsten der Unberührbaren. Ich hatte es nicht daauf abgesehen, zur einsamen Insel zu werden, aber ich hielt mich doch lieber von den belebtesten Gebieten fern. Es war sicherer, sich auf einen Platz zu setzen, von dem aus man das Geschehen im Blick und notfalls einen Fluchtweg hatte.
Ich hatte keine Lust mehr davonzulaufen, aber es konnte nicht schaden, Wahlmöglichkeiten zu haben, und es war immer besser zu wissen, was auf einen zukam. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, wie mein Onkel zu sagen pflegte.
Als ich Jill McAllister also, von ihren kichernden Busenfreundinnen beobachtet, auf meinen Tisch zukommen sah, schob ich meinen schlaffen Caesar Salad von mir und bereitete mich auf einen Showdown vor. Ich spürte ein leichtes Kribbeln im Nacken. Jill machte mich immer argwöhnisch, und mittlerweile wusste auch die Magie über sie Bescheid. Ich ignorierte das inzwischen vertraute Gefühl und konzentrierte mich auf das anstehende Problem. Jill, schön und launisch und entsetzlich verwöhnt. Sie trug die gleiche St.-Brigid-Uniform wie wir anderen– einen dunkelblauen Schottenrock, eine weiße Bluse, einen blauen V-Ausschnitt-Pullover, der mit dem Schulwappen bestickt war–, aber ihre Ohrstecker waren mit echten Diamanten besetzt, nicht mit Zirkonia, und ihre Schuhe hatten wahrscheinlich mehr gekostet, als ich im Monat an Trinkgeldern einnahm.
Erst setzte sie sich nicht hin, sondern ragte drohend über mir auf– die Absätze der teuren Schuhe waren auch noch unglaublich hoch–, bis ich hochschaute und mir beiläufig den Nacken rieb.
» Willst du irgendetwas, Jill?«
» Du sitzt ganz allein hier.« Sie ließ sich mit einem untypischen Mangel an Eleganz auf den Stuhl neben meinem fallen. Ich kämpfte gegen den Drang an, von ihr abzurücken.
»
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