Der Weg ins Dunkel
lange misshandelt worden, bis ihr Wille vollkommen gebrochen war, und sie wurden gezwungen, so lange die unsäglichsten Dinge zu tun, bis sie gegen das Grauen völlig abstumpften. Sinn dieses Vorgehens war, jegliches Gefühl für Anstand und Moral abzutöten, und wenn diese gebrochenen Menschen dann langsam wieder aufgebaut und in den Einsatz geschickt wurden, waren sie Mordecai willenlos ergeben und folgten blind jedem noch so schrecklichen Befehl.
Mordecai machte sie glauben, sie würden unverwundbar, wenn sie ihre Stirn mit heiligem Wasser benetzten. Überdies glaubten sie, er könne sie durch Handauflegen heilen, wenn sie doch einmal verletzt würden. Der Kult war eine größenwahnsinnige Mischung aus Christentum und Voodoo, und die regelmäßige Einnahme von halluzinogenen Drogen und Amphetaminen tat ihr Übriges in Bezug auf Willenlosigkeit und Wagemut. Jean-Luc wusste, dass es ein nahezu perfektes System und der Kult deswegen brandgefährlich war, denn Mordecai hatte sich eine ebenso furchtlose wie loyale Armee geschaffen.
Die Rotoren knatterten, und Jean-Luc hielt in der zunehmenden Dunkelheit weiter Ausschau, die Augen gegen den Fahrtwind zusammengekniffen. Er kannte diese Situation nur zu gut – die Ruhe vor dem Sturm, die Anspannung vor einer großen Schlacht. Es waren so viele Schlachten gewesen, so viele schmutzige Kriege in so vielen Ländern. Seit er erwachsen war, war er Söldner, ein anderes Leben kannte er nicht. Er war Söldner mit Leib und Seele, das war die Summe seines Lebens. So wie ein Raucher stets eine Zigarette zur Hand hatte, war der Krieg sein ständiger Begleiter.
Doch zum ersten Mal in seinem Leben zog er aus einem anderen Grund in den Kampf. Dieses Mal ging es nicht um einen Job oder die Bezahlung. Dieses Mal ging es darum, dass sein kleines Mädchen ihn brauchte.
Er rückte von der offenen Tür ab, tätschelte Louis, dem Mann am Heckgeschütz, den Rücken und ging zum Piloten nach vorne. Es war gut zu sehen, dass seine Männer bereit waren. Alle hatten die Finger an den Abzügen ihrer Waffen und suchten das Terrain durch ihre Nachtsichtgeräte nach den geringsten Anzeichen von Bewegung ab. Ihr Schweigen signalisierte Mut und Konzentration. Fraglos waren alle seinem Befehl gefolgt, als sie in Goma so kurz nach dem letzten Einsatz gleich wieder in die Maschinen steigen sollten. Und das, obwohl sie genau wussten, dass sie, falls sie Bear nicht im Wald fänden, zum Vulkan weiterfliegen müssten – und damit in den härtesten Kampf ihres Lebens.
Jean-Luc beugte sich über Thierry, den Piloten. Er war von kräftiger, untersetzter Statur, hatte eine Glatze und ein gebräuntes Gesicht. Jean-Luc sah auf die Uhr neben dem GPS -Gerät. Sie hatten genug Sprit an Bord, um die Suche nach Bear noch weitere fünf Stunden fortzusetzen.
«Major, wir haben da was mit der Wärmebildkamera eingefangen», kam plötzlich Laurents Stimme über Funk. «Ein einzelner Wärmepunkt, der sich auf der alten Holztransportstraße in westlicher Richtung bewegt.»
«Sicher, dass es ein Mensch ist?»
«Negativ.»
Jean-Luc nickte. Bis sie seine Tochter gefunden hatten, würden sie jeder Spur folgen. Jeder. «Nehmt trotzdem die Verfolgung auf.»
Alle vier Hubschrauber flogen eine Kurve, ohne die Formation zu verändern, und näherten sich der Straße. Schon seit Jahren war sie für Bodenfahrzeuge unpassierbar, und der Wald begann sich die gerodete Trasse langsam zurückzuerobern. Aus der Luft war sie aber noch deutlich zu erkennen.
«Zielobjekt bewegt sich von der Straße weg Richtung Süden.»
«Setzt euch davor und lasst vier Mann runter.»
Der vorderste Hubschrauber wurde langsamer, nahm die Nase hoch und reduzierte die Umdrehung der Rotoren. Seile wurden über Bord geworfen, und vier Männer machten sich in der Dunkelheit zum Abseilen bereit.
Die Seile surrten, als die Männer schnell daran hinuntergelassen wurden, und stoppten erst kurz über dem Boden. Die Männer hakten sich aus, nahmen die M 4 -Karabiner vom Rücken und liefen los.
«Zielobjekt stoppt», kam Laurents Stimme aus dem Funkgerät. «Nördlich. Zwanzig Meter.»
Die Gewehre im Anschlag, gingen die Männer in die angegebene Richtung. Sie bewegten sich nahezu geräuschlos, und in ihren schwarzen Kampfanzügen verschmolzen sie optisch mit der Dunkelheit. Ihre Gesichter hatten sie mit dunkler Tarncreme eingerieben. Nach fünf Metern trafen sie zusammen, aber das Zielobjekt konnten sie immer noch nicht sehen, weil Büsche und Unterholz
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