Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
Lachen ein, obwohl er diese Bemerkung über blutende tote Menschen rätselhaft fand. Als würden sie beide ihr Ziel kennen, gingen sie gemeinsam die Stufen hinunter und stiegen dann einen Hügel hinauf, steuerten auf ein Wäldchen in der Ferne zu. Dieses kleine Waldstück befand sich offenbar am höchsten Punkt der eingefriedeten Ländereien, dicht an der grauen Mauer und nahe bei, aber oberhalb der Stelle, wo Tony am Tag zuvor Jack getroffen hatte. Von dieser erhöhten Stelle konnte man vermutlich das gesamte ummauerte Land überblicken und vielleicht sogar einen Blick auf das Tal jenseits der Mauer werfen. Unterwegs stellte Tony weitere Fragen. Der Geschäftsmann in ihm wunderte sich.
»Nach gut vierzig Jahren sieht dieser Ort ganz schön heruntergekommen aus. Mehr hast du in der ganzen Zeit nicht zustande gebracht?«
Statt über den deutlich hörbaren Vorwurf hinwegzugehen, griff die Jesus-Person ihn auf. »Ja, da hast du wohl recht. Ich bin nicht besonders gut in diesen Dingen. Dieser Ort ist nur ein Schatten dessen, was er zu Beginn war. Es gab eine Zeit, da war er ein wilder und prachtvoller Garten, offen, wunderschön und frei.«
»Ich wollte nicht unhöflich erscheinen …«, begann Tony entschuldigend, aber Jesus winkte lächelnd ab. »Es sieht nur nicht sehr nach einem Garten aus«, meinte Tony, bemüht freundlich.
»Stimmt, das Werk ist unvollendet.« Jesus seufzte, und es klang resigniert und entschlossen zugleich.
»Für mich sieht es wie ein aussichtsloser Kampf aus«, fügte Tony hinzu und versuchte, nicht zu negativ zu klingen. Er konnte einfach nicht anders. Es war seine feste Angewohnheit, in Gesprächen einen Weg zu finden, die eigene Überlegenheit zu demonstrieren.
»Es mag einige Zeit dauern, aber ich verliere niemals«, kam die ruhige, gelassene Antwort.
»Ich will ja nicht unhöflich sein, aber meinst du nicht, dass dieses Projekt schon viel zu lange dauert? Du könntest eine Menge tun, um dieses Land zu roden, es zu bepflanzen, zu düngen, etwas daraus zu machen. Ich glaube, es hat Potenzial. Ein paar Profis mit den richtigen Maschinen könnten hier in kurzer Zeit Ordnung schaffen. Wie wäre es mit ein paar Planierraupen? Mir sind ein paar Stellen aufgefallen, wo die Mauern schadhaft sind und ausgebessert werden müssen. Du könntest einen Agraringenieur und einen Architekten anheuern. In ungefähr sechs Monaten ließe sich das Anwesen auf Vordermann bringen. Und natürlich solltest du dein altes Haus abreißen und ein komplett neues bauen lassen.«
»Tony, das hier ist ein lebendiges Land, kein Bauplatz. Es ist real und atmet. Es ist kein künstliches Gebilde, das mit roher Gewalt aus dem Boden gestampft werden kann. Wenn man der Technik gegenüber Beziehungen und natürlichen Prozessen den Vorzug gibt, wenn man versucht, Erkenntnis und Reife verfrüht zu erzwingen«, er deutete mit den Armen auf das gesamte ummauerte Land, »wird man zu dem, was du hier siehst.«
Nach kurzem Schweigen fuhr Jesus fort: »Wir sind nur in der Lage, uns mit der Geschwindigkeit und in die Richtung zu bewegen, die das Land uns erlaubt. Man muss das Land ehren und darauf lauschen, was es denkt und fühlt. Dann müssen wir uns aus Respekt ganz seiner Vorstellung davon fügen, was ›real‹ ist, und es dennoch uneingeschränkt lieben, koste es, was es wolle. Nicht auf diese Weise für das Land zu leben hieße, sich auf die Seite der Aggressoren zu stellen, der Vergewaltiger und Ausbeuter, und dann wäre jede Hoffnung auf Heilung verloren.«
Tony fand das Gesagte verwirrend. »Du sprichst in Metaphern, und ich kann dir, ehrlich gesagt, nicht so ganz folgen. Du sprichst über dieses Land wie über eine Person, die du kennst und liebst. Dabei besteht es doch nur aus Erde und Stein, Blumen, Unkraut, Wasser und anderen Materialien.«
»Und genau deshalb« – Jesus berührte Tonys Schulter und drückte sie sanft – »kannst du nicht verstehen, was ich sage. Ich habe keine einzige Metapher benutzt, während du das viele Male getan hast. Weil du damit fortfährst, deine Metaphern zu bewohnen und an sie zu glauben, kannst du die Wahrheit nicht sehen.«
Tony blieb stehen, breitete die Arme aus, als wollte er das ganze riesige Anwesen umfassen, und erklärte energisch: »Aber es ist nur Erdboden! Dreck! Keine lebende Person!«
»Ach, Tony, du hast doch selbst gesagt … Staub zu Staub. Erde.«
Das war die fehlende Verbindung! Die Idee kam wie ein Schock, und ihre Konsequenzen waren schwindelerregend. Er
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