Der Weg: Wenn Gott Dir eine zweite Chance gibt (German Edition)
danach.«
Tony saß da und starrte die wunderschön einfache und doch komplexe Blume an, fassungslos. Die Gegenwart von etwas geradezu schmerzhaft Heiligem wurde ihm bewusst. Wieder einmal fragte er sich, wo er all die Jahre gewesen war? So weit er sich erinnern konnte, hatte er nie wirklich gelebt. Aber mit diesem Gedanken kamen andere, kleine Erinnerungen an das Mysterium, das doch immer wieder zwischen Stress und Hektik des Berufsalltags in sein Leben eingedrungen war: kleine Stückchen Licht und Liebe, Momente des Staunens und der Freude, die leise in ihm flüsterten, wenn es ihm gut ging, und um Aufmerksamkeit schrien, wenn er litt. Er war nie jemand gewesen, der sich die Zeit nahm, zuzuhören, aufmerksam hinzuschauen, tief durchzuatmen, zu staunen … und dafür hatte er einen hohen Preis bezahlt, da war er sich nun sicher. In diesem Moment fühlte er sich wie ein völliger Versager, und seine innere Wüste fand sichtbaren Ausdruck in dem geschädigten, ausgelaugten Land draußen vor dem Fenster.
»Tony, Sie sind eine Wurzel«, unterbrach Jack seine Gedankenspirale. »Und nur Gott weiß, was für eine Blume daraus werden wird. Hören Sie auf, sich dafür zu geißeln, dass Sie eine Wurzel sind. Ohne die Wurzel kann es niemals eine Blume geben. Die Blume ist Ausdruck dessen, was Ihnen so minderwertig und unbedeutend vorkommt.«
»Es ist die Melodie!«, rief Tony aus. Endlich verstand er, ein klein wenig zumindest.
Jack lächelte und nickte. »Da haben Sie völlig recht. Es ist die Melodie.«
»Werde ich Sie kennen, Jack? Werde ich Sie im Jenseits kennen, im Leben danach?« Tony hoffte es plötzlich.
»Durch und durch werden Sie mich kennen! Es wird ein Blumen-Erkennen sein, das eine Wurzel, die eine andere Wurzel anschaut, nicht begreifen kann.«
Tony glaubte zu verstehen, wartete aber auf weitere Erklärungen, und Jack war so freundlich, sie ihm zu geben:
»Anthony, das, was Sie jetzt von mir sehen, ist eine Mischung aus Erinnerungen und Imagination. Es ist das, von dem Ihr Verstand glaubt, dass ich für Sie so aussehen sollte. Sie sind eine Wurzel, die eine Wurzel betrachtet.«
»Und wenn wir uns im Jenseits begegnen?«
»Nun, vielleicht wird das in Ihren Ohren wie Selbstverherrlichung klingen, aber es trifft auf jeden zu, den Sie im Jenseits treffen. Wenn Sie mich aus dem Daseinszustand heraus, in dem Sie sich momentan befinden, sehen würden, wie ich wirklich bin, würden Sie sich höchstwahrscheinlich auf den Boden werfen und mich anbeten. Die Wurzel würde die Blume sehen, und das könnte sie nicht verkraften.«
»Wow!«, rief Tony aus, von der Antwort überrascht. »Sie haben recht, das klingt wirklich ganz schön eingebildet.«
»Im Jenseits bin ich alles, wofür ich geschaffen wurde, viel menschlicher, als es mir auf Erden jemals gelang, und durchdrungen von allem, was Gott ist. Bisher haben Sie kaum eine Note einer Symphonie gehört, eine Farbe eines Sonnenuntergangs gesehen, einen Tropfen eines Wasserfalls gehört. Sie sind in Ihrem Leben verwurzelt und greifen wie nach einem Strohhalm nach allem, was Ihnen ein Gefühl von Transzendenz bringt, und dabei gehen Sie sogar so weit, andere Wurzeln in imaginäre Blumen zu verwandeln.«
Tony stand auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Jack«, gestand er, »mein Leben, das ich für erfolgreich gehalten habe, ist in Wahrheit ein heilloses Durcheinander, und doch wollen Sie mir erzählen, dass unter alledem eine unvorstellbare Schönheit verborgen liegt? Sie behaupten ernsthaft, dass ich wichtig bin? Dass ich, obwohl ich diese hässliche, gewöhnlich aussehende Wurzel bin, dazu geschaffen wurde, eine einzigartige und außergewöhnliche Blume zu werden? Das ist es doch, was Sie mir sagen wollen … richtig?«
Jack nickte. Er zog erneut die Pfeife aus der Tasche, um einen Zug zu nehmen.
»Und ich nehme an«, fuhr Tony fort, »dass dies auf alle Menschen zutrifft, die jemals geboren wurden …«
»Empfangen!«, unterbrach ihn Jack.
»Jede Person, die auf dem Planeten ›empfangen‹ wurde, jeder, der im Leben davor, im Diesseits, existiert, ist eine Wurzel, in der eine Blume wartet? Richtig?«
Wieder nickte Jack, und nun ging Tony zu ihm, stellte sich dicht vor ihn hin, beugte sich vor und legte seine Hände auf Jacks Schultern. »Und wozu dann diese ganze Scheiße, Jack? Die Schmerzen, die Krankheiten, die Kriege, die Verluste, all der Hass, die Grausamkeit und Brutalität, die Ignoranz und Dummheit und …« Eine ganze Liste des
Weitere Kostenlose Bücher