Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
allein nach Frankreich in eine Gastfamilie fahren durfte. Ich war glücklich, dass mir meine Eltern das zugetraut hatten. Auch sie hatten eine gewisse Lebensfreude. Sie feierten gern Partys, mein Vater war schlagfertig und witzig. Trotzdem würde ich mich nicht als glückliches Kind bezeichnen.
Meine Eltern waren sehr abhängig von der Meinung anderer, ihre Ziele waren Anpassung und Erfolg, der Vergleich mit anderen lenkte ihren Lebensplan. Sie haben uns immer vor den Gefahren gewarnt, falls man sich nicht den soliden Weg aussucht. Mein Vater stammt aus bäuerlichen Verhältnissen, nach dem Krieg hat er sich zum Wirtschaftsprüfer hochgearbeitet, meine Mutter kommt aus einer Akademikerfamilie. Da sie ihre Erfüllung aus dem bezog, was ihr Mann und ihre Kinder darstellten, trieb sie uns ständig an, ohne dass sie Erreichtes wertschätzen konnte. Sie hatte die vertrackte Eigenschaft, erst hinterher zu merken, wie schön etwas gewesen war, und vermittelte mir das chronische Gefühl, ihren Ansprüchen nicht zu genügen. Wenn ich stolz auf eine Leistung war, war ihr Standardsatz: »Das kannst du doch besser.« Für meine Zukunft hatte meine Mutter ganz konkrete Wünsche. Ich sollte einmal den schönsten und reichsten Mann Nordrhein-Westfalens heiraten, drei Prachtkinder bekommen und Studiendirektorin werden, mit Erfolg in der Öffentlichkeit.
Ich habe lange Kraft dareingesteckt, mich den Erwartungen meiner Mutter zu widersetzen. Ich hatte die Einstellung: Wenn du mich nur vergleichen willst, dann schäme dich mal bitte für mich. Ich vermassele dir das Spiel. Das Wort Liebe oder Glück habe ich von meinen Eltern nie gehört, obgleich mein Vater zärtlich und gefühlvoll war. Er war mit sich selbst zufrieden und hat auch andere nicht kritisiert. Wenn meine Mutter uns mit Schweigen bestrafte, tröstete er uns und versuchte zu vermitteln. Wenn sie depressive Phasen hatte, tat er alles, um sie aus dem Tief rauszuholen.
Ich glaube, meine Mutter fand sich selbst immer nicht gut genug und hat das an uns Töchter weitergegeben. Aber ich war auch infiziert vom Dünkel, etwas Besonderes sein zu müssen. Wenn mir eine Situation nicht hundertprozentig passte, versuchte ich nicht, sie in meinem Sinne zu verbessern, sondern beendete sie, indem ich ging. Ich hatte es nicht nötig, mich mit Halbheiten zu arrangieren. Letztlich stellte ich mir das Glück so vor wie meine Mutter es mir vermittelt hatte, bloß gegen den Strich gebürstet. Ich wollte erfolgreich sein, aber auf einer schrägen Ebene. Ich dachte auch, ich finde den tollsten Mann, aber einen anderen als meine Mutter sich erträumte. Und ich wollte einmal fünf Kinder bekommen. Ich war mir lange über meine Rolle als Frau nicht klar. Auf keinen Fall wollte ich in die Fußstapfen meiner Mutter treten, aber ich lehnte ihr Leben nicht so weit ab, dass ich einen Gegenentwurf suchte.
Mein Wegzug von Zuhause zum Soziologiestudium nach Freiburg und später München war eine Befreiung. Endlich konnte ich machen, was ich wollte, meine Selbständigkeit war jedoch auch höllisch anstrengend. Meine Mutter hat ja für ihre Familie perfekt gesorgt, hat uns zuliebe auf vieles verzichtet, mit dem Nebeneffekt, dass ich viele praktische Dinge nicht konnte. Studiert habe ich erst mal nicht. Ich las viel, ging ins Kino, in die Discos, bis in die 80 er Jahre kannte ich jeden Popsänger. Oft fuhr ich spontan per Anhalter ins Blaue. Ich fand es spannend, mich allein in einer fremden Umgebung zurechtzufinden, und weiß seitdem, dass ich mich überall durchwurschteln und auf mich verlassen kann.
Soziologie habe ich gewählt, weil mich soziale Systeme und gesellschaftliche Randgruppen interessieren. Mein Berufsziel war, in sozialen Institutionen zu arbeiten und sie zum Besseren zu verändern. Ein Seminar, das ich belegte, hieß: »Der notwendige Terror-Zusammenhang der Kleinfamilie.« Ich habe zwar nicht auf die sozialistische Revolution gewartet, hatte auch keine konkreten politischen Ziele, aber ich hoffte, dass der Mief der 50 er Jahre weggefegt wird durch einen Aufbruch zu Neuem. Die 60er / 70 er Jahre waren ja auch davon geprägt, dass man nicht das eigene kleine Glück anstrebte. In meiner Jugend hatte ich auf Fragen nie befriedigende Antworten bekommen. Nun gelang es mir, meine Eltern mit provozierenden Ansichten aus der Reserve zu locken. Ihre Vorstellung, wir würden Gruppensex machen und Drogen konsumieren, habe ich erst einmal so stehen lassen. Plötzlich war bei uns zu Hause etwas
Weitere Kostenlose Bücher