Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
machen. Vielleicht sind zwischen Menschen nur partiell seelische Begegnungen möglich, die dann sehr beglückend sind. Danach muss man wieder allein sein können.
In den letzten Jahren verbinde ich mich wieder mehr mit meiner spirituellen Seite. Als junge Frau war ich auf der Suche nach der spirituellen Ebene des Glücks und habe sie damals in Poona gefunden. Bhagwan war für mich ein Medium zu einem Gefühl, das ich als Kind einmal hatte: Ein Urvertrauen in die Ordnung des Lebens, die Gewissheit, du wirst geliebt, gehalten, getragen, du musst dich nicht sorgen, bist nicht bedroht. Das ist ja die Aufgabe eines Gurus: Er schließt die Türen auf zu deiner eigenen Person, er ist ein Medium, um mehr bei dir zu sein und gleichzeitig über dich hinauszuwachsen. Ich würde sofort losmarschieren, wenn ich wüsste, dass es irgendwo einen Ort gibt für dieses ekstatische Verschmelzen mit anderen Menschen, ohne sich dabei aufzugeben
Ekstatische Momente erlebe ich jetzt beim Singen. Wenn wir im Chor gemeinsam etwas einstudieren, dann weht mich tiefes Glück an, ich verströme mich, mein Herz füllt sich, ich habe Hitze in meiner Brust. Die Freude am Singen habe ich von meiner Mutter. Ich denke, sie war zeitlebens gekränkt, dass sie sich als Kriegerwitwe mit Kind auf einen so ungebildeten Mann wie meinen Vater einlassen musste. Das einzige, was sie sich neben all den Familienpflichten gönnte, war der Chor. Wenn sie sang, war sie eine andere.
Lieselotte Thoma: »Eigentlich lerne ich mich jetzt erst kennen.«
Ihren guten Geschmack bewundere ich lange vor unserer ersten Begegnung. Sie habe wieder ein Paket von ihrer Freundin erhalten, die die Partnerin eines betuchten Künstlers sei und nachmittags oft durch Boutiquen ziehe, erklärte eine Freundin mir die Quelle ihres Kleiderfundus von erlesener Qualität. Meine Neugier auf die großzügige Spenderin ist groß, als ich Lieselotte zum ersten Mal treffe. Eine Frau wie aus einem Gemälde von Vermeer. Rotblonde, etwas wellige Haare umrahmen das glatte ungeschminkte Gesicht mit hellen Augen und einem schönen, vollen Mund; die aufgeknöpfte Leinenbluse betont reizvoll ihre etwas füllige Gestalt. Kaum zu glauben, dass Lieselotte die 60 gerade überschritten hat. Auch sonst hat sie wenig gemein mit dem Luxusgeschöpf, das ich erwartete, wenngleich ich weiß, dass Lieselotte nicht mehr auf Rosen gebettet ist, seitdem sie sich vom Vater ihrer beiden Kinder getrennt hat.
Die somnambule Leichtigkeit, mit der Lieselotte den Schritt in den neuen Lebensabschnitt meistert, ist ein Grund, weshalb ich sie als Gesprächspartnerin auswähle. Nie höre ich eine Klage heraus, wenn sie von ihren unsicheren Honorarverträgen als Museumsführerin berichtet oder von den Sprachstudentinnen erzählt, an die sie monatsweise den größten Raum ihrer Berliner Vierzimmereigentumswohnung vermietet und für die sie täglich kocht. Dem Interview stimmt Lieselotte mit der Auflage zu, dass ihr ehemaliger Partner nicht identifiziert werden kann. In welcher Sparte er künstlerisch tätig ist, klammern wir deshalb aus.
Während unseres ersten Gespräches bewirtet mich Lieselotte mit selbstgemachtem Tiramisu, das mehrmalige Telefonklingeln ignoriert sie. Gefühle in Worte zu kleiden fällt Lieselotte nicht leicht. Sie nehme vieles »instinktiv«, »unterschwellig«, »unbewusst« wahr, äußert sie und findet ein passendes Wort häufig erst, indem wir ungenaue Formulierungen wiederholt umkreisen. Bevor ich aufbreche, zeigt sie mir farbenfrohe Patchworkkissen– ihr neues Hobby.
Kürzlich besuchte mich eine Bekannte und sagte: »Du arme Lilly, wie du jetzt lebst.« Sie denkt sehr materiell und empfindet mein Leben jetzt offenbar als Abstieg. Da stehe ich drüber. Heute bin ich näher an mir selbst und deshalb glücklicher. Obwohl es auch Tage der Einsamkeit gibt, habe ich insgesamt das Gefühl: Ich bin auf dem richtigen Weg. Ich suche Abenteuer nicht mehr außen, sondern bin auf der Entdeckungsreise zu mir. Sechzehn Jahre war ich die Frau eines Künstlers und ging völlig darin auf. Alles drehte sich um ihn. Damals war das auch in Ordnung, ich habe ihn bewundert, mit mir selbst wusste ich gar nicht viel anzufangen. Rückblickend wird mir klar, wie viel Energie ich dareinsteckte, mich Georgs Wünschen anzupassen. Eigentlich lerne ich mich jetzt erst kennen.
Ich bin 1947 in Dresden geboren, meine Kindheit war gepflastert mit Verboten, meine Mutter hat immer großen Druck ausgeübt. Sie kam aus Schlesien und war
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