Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
nicht wieder zusammenfinden. Die Restfunktionen meiner Beine sind jetzt ganz brauchbar. Ich spüre meine Beine, kann mit Hilfe ein paar Schritte gehen, aber wenn ich mich anstrenge, kommt Spastik rein.
Mein Wunschberuf Autoschlosser war natürlich passé. Mir wurde geraten: Deine Zukunft liegt im kaufmännischen Bereich, am PC . Am Schreibtisch sitzen war überhaupt nichts für mich, aber dann sagte ich mir: Du machst erst einmal das, später kannst du dich immer noch umorientieren. Wichtiger noch als der Beruf war es für mich, nicht mehr auf Hilfe angewiesen zu sein, und dazu gehörte ein eigenes Auto. Meine Familie hat zusammengelegt, ein Verwandter besorgte mir einen alten Opel Kadett, der mit einer Handbedienung umgebaut wurde. Am 1 .Juli 1990 stand er vor der Tür meiner Eltern. Ich war stolz und glücklich: Mein Auto! Es war das erste West-Auto im Ort. Mein ehemaliger Lehrmeister bot mir an, dass die Firma mir noch die Fahrstunden bezahlt. Meine erste Fahrt führte ins Krankenhaus, ich habe den Krankenschwestern und Ärzten mein Auto gezeigt. Und mich! Anfangs habe ich jeden Tag getankt. Ich klapperte alle Wege ab, wo ich früher gelaufen oder Motorrad gefahren bin, auch die Stelle, wo ein Teil meines Lebens zu Ende gegangen war. Aber damals hatte ich mir bereits gesagt: Es ist wie es ist. Guck nach vorne! Ich hatte eine Berufsperspektive, ging nicht zurück in die elterliche Obhut. Am 1 . September begann ich in Berlin-Buch die Ausbildung zum Wirtschaftskaufmann. Dass ich mein Leben so gut hinkriegen werde, habe ich mir allerdings noch nicht vorstellen können.
Ich wohnte im Internat, lernte nette Leute mit unterschiedlichen Behinderungen kennen, aber schon bald hatte ich ein neues Ziel. Ich wollte meinen Tagesablauf eigenständiger gestalten und ergatterte eine der heißbegehrten Wohnungen im Schwesternwohnheim, in denen man Selbständigkeit trainieren konnte. Das Schwierigste war, mit dem wenigen Geld wirtschaften zu lernen, zumal ich jede zweite Woche mit dem Auto zu meiner Familie an die Ostsee fuhr. Wenn ich zu Hause war, drängte mein Vater, dass ich mitkomme zu Veranstaltungen. Aber ich wollte noch nicht unter Menschen. Manche im Ort kannten mich noch als kühnen Motorradfahrer, es kursierten wilde Gerüchte, ihre Blicke waren wie tausend Messerstiche, ich fühlte mich so nackt. Meine Schwester verstand am besten, dass unsere Wohnung für mich ein Schutzraum war.
In dieser Zeit entstand die Idee, dass meine Eltern ein Haus bauen, mit einer Einliegerwohnung für meine Oma und einer zweiten für mich. Ich mag Familienleben. Man ist nicht allein, man braucht kein Radio oder Fernsehen als Geräuschkulisse, es ist immer jemand da, mit dem man reden kann, der fragt: »Wie war dein Tag? Was hast du gemacht? Geht’s dir gut?« Aber aus dem Plan wurde nichts, da meine Mutter vor zehn Jahren an einem Herzinfarkt starb. Sie wusste seit langem von ihrer Niereninsuffizienz, aber sie wollte stark sein für uns und hat es der Familie erst gesagt, als sie zur Dialyse musste. Nach ihrem Tod haben wir das Hausprojekt aufgegeben. Mit ihr fehlte das Zentrum der Familie. Ich habe meinen jüngeren Bruder getröstet: »Mutti geht’s jetzt gut. Wir halten als Familie zusammen. Das schaffen wir.« Und wir haben es auch geschafft.
Meine Neffen und Nichte kennen mich ja nur im Rollstuhl. Wenn sie mich besuchen, ist das Erste, was sie sagen: »Steffen, steig aus, lass mich mal fahren.« Mit meinem Vater telefoniere ich einmal die Woche. Er hat noch lange am alten System festgehalten und hadert damit, dass er mit 60 keine Arbeit mehr hat. Er ist zu seiner neuen Partnerin gezogen. Ihre Wohnung ist nicht rollstuhlgerecht, und daher fühle ich mich bei ihnen nicht wohl. Mein Vater lebt sein Leben und ich mein Leben. Ich bin froh, dass ich in Berlin geblieben und nicht nach Mecklenburg gezogen bin. Es wird hier eine Menge getan für Menschen mit Behinderungen. Wenn andere meckern, erwidere ich: »Fahrt mal in die Provinz. Dann wisst ihr, wie toll es hier ist.«
Mir hat Selbständigkeit immer sehr geholfen, mein größter Wunsch ist, nicht auf Hilfe angewiesen zu sein, frei entscheiden zu können und dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel zu haben. Nach meiner Ausbildung 1993 habe ich eine Stelle gesucht und nahm es erst einmal als gegeben hin, dass ich mit meiner Rente nur 15 Stunden arbeiten dürfe und deshalb nicht vermittelbar sei. Ich hatte gerade diese barrierefreie Wohnung bekommen und war damit beschäftigt,
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