Der Weg zum Glueck ist ausgeschildert
oft relativ früh raus. Simpel ausgedrückt werden viele vom Leben plattgemacht: Menschen gehen in die Knie vor Enttäuschungen, Trennungen, Krankheiten; sie konzentrieren sich auf die Lebensbewältigung und haben nicht mehr die Kraft, die Fahne für große Ziele hochzuhalten. Mit Sicherheit ändert sich die Einstellung in puncto Gesundheit. Ich vermute, dass man sich bis zum 35 sten Lebensjahr für unsterblich hält. Glück besteht ja auch darin, dass man Vergangenes und Künftiges ab und zu verdrängen kann. Diese jugendliche Glücksfähigkeit ist bei vielen Älteren kaum noch da. Inzwischen lese ich in der Zeitung oft zuerst die Todesanzeigen. Die Einschläge kommen immer näher. Es ist fast wie ein Krieg.«
Dass wir dazu neigen, Unwiederbringliches zu vergolden und Nöte aus dem Gedächtnis zu löschen, mag ein Trost sein, wenn uns jenseits der 50 Wehmut überfällt. Die Überhöhung von Krankheit als Chance für den weiteren Lebensweg wird indes in der Tat hinfällig, wenn wir unaufhaltsam physisch zu bröckeln beginnen und Schmerzen sich nicht mehr kurieren lassen. »Ich konnte mich immer auf meinen Körper verlassen, jetzt nicht mehr«, beschreibt eine 72 -jährige Bekannte den Einschnitt, den viele Ältere mit Verweis auf den medizinischen Fortschritt nicht mehr einfach akzeptieren wollen. Selbst jenseits der 80 , zieht Wolf Schneider eine Parallele zwischen der sinkenden »Unlustbereitschaft« und dem blinden Vertrauen in die Technik, die auch den Alterungsprozess besiegen soll: »Körperliche und seelische Widrigkeiten, die unsere Großväter zehn Jahre lang schweigend hinnahmen, treiben uns binnen zehn Minuten zur Tablette oder auf die Barrikade. Die Allgegenwart von Tasten, Knöpfen, Hebeln und Sensoren, mit deren Hilfe wir die erwünschte Reaktion (des Autos, der Waschmaschine, des Fernsehapparats) in Sekundenschnelle erzwingen können, züchtet Ungeduld in allen Lebenslagen.« 85
Im Reifeprozess erleben jedoch auch viele Menschen das Glück, loszulassen und sich von Überflüssigem zu befreien. Man braucht nicht zwölf Tischtücher, sondern nur vier. Man fühlt sich nicht vernachlässigt, falls der Sonntagsanruf der Kinder mal ausbleibt, man verrenkt sich nicht mehr für flüchtige Erfolge. Selbstsicher nimmt man sich selbst nicht mehr so wichtig und unterscheidet schärfer zwischen bereichernden Traditionen und leeren Konventionen. Der Wert von Partnerschaft und Freundschaften wird durch die lange gemeinsame Wegstrecke erhöht, die Treue zueinander, auch in Krisen, federt Störendes ab. Für die optischen Spuren der Zeit hat die Schauspielerin Christiane Hörbiger (geboren 1938 ) ein Rezept: »Ich werde immer alles tun, um möglichst gut auszusehen. Aber nicht, um möglichst jung auszusehen.« 86
»Weisheit ist der souveräne Umgang mit Ambivalenz« 87 , definiert der Autor Heiko Ernst die höchste Stufe menschlicher Entwicklung. Im Begreifen von Zusammenhängen lösen sich Schwarz-weiß-Raster auf. Rückblickend fügen sich die Wechselbäder des Lebens zu einem Ganzen zusammen. Ob es glücklich war, zeigt sich nicht zuletzt in unserer Toleranz, Wärme, Güte, Großherzigkeit. Den Kompass für ein erfülltes Leben formuliert eine oft zitierte Fürbitte: »Herr, gib mir die Kraft, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Geduld, Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann, und die Weisheit, das eine von dem andern zu unterscheiden.«
Marianne K.: »Wir nennen es unser Liebesnest.«
Sie hole mich am Parkplatz ab, denn allein würde ich ihre Adresse schlecht finden. Schnurgerade führt die Hermannstraße durch Berlin-Neukölln, mehr und mehr weichen Gründerzeithäuser im Stadtteil Britz gesichtslosen Neubauten. Am dichtbefahrenen Buckower Damm wirkt die alte Mühle, als habe sie sich verlaufen, doch schon nach fünf Minuten Fußweg tut sich eine Idylle auf. »Heimaterde«, »Goldregen«, »Friedland«, »Kolonie zur Windmühle« heißen die Gartenkolonien neben dem Erholungspark Britzer Garten, jede von ihnen mit mehreren Hundert Parzellen.
Leider sei noch alles kahl. Eingepackt in einen Anorak, begrüßt mich Marianne K. mit festem Händedruck und lotst mich durch die Schrebergärten, in denen sich Krokusse durch die nassgraue Erde kämpfen. Das Glück im Winkel. Zwei Katzen, ein Taubenschlag, im Garten überwintert eine Igelfamilie. Jeder Raum des kleinen Häuschens, halb Bungalow, halb Laube, zeugt von der Liebe zum Detail, Ordnungssinn und handwerklichem Geschick. Marianne K. überlässt
Weitere Kostenlose Bücher