Der Weg zurück
sehe ich einen blitzenden, weißen Bauch und die majestätischen Schniepel eines Schwalbenschwanzes. Willy im cut. Geblendet starre ich ihn an. Der cut ist schwarz, die Weste weiß, die Haare sind rot – er ist eine lebendige Fahnenstange.
Willy nimmt meine Bewunderung herablassend zur Kenntnis. »Ja, da staunst du, was?«, sagt er und dreht sich wie ein Pfau, »mein Kaiser-Wilhelm-Gedächtniscut! Was aus einem Kommissmantel alles werden kann, wie?«
Er klopft mir auf die Schulter. »übrigens gut, dass du da bist, heute ist Tanzturnier, wir machen alle mit, es gibt erstklassige Preise! In einer halben Stunde geht’s los.«
Bis dahin kann man also noch trainieren. Willy hat eine Art Ringkämpferin als Dame, ein mächtig gebautes Geschöpf, kräftig wie ein Sechstalergaul. Damit übt er einen Onestep ein, bei dem die Geschwindigkeit das Wichtigste ist. Karl dagegen tanzt mit einem Mädchen vom Lebensmittelamt, das wie ein Schlittenpferd mit Ketten und Ringen aufgezäumt ist. Er verbindet dadurch Geschäft und Vergnügen auf bequeme Weise. Aber Albert – Albert ist nicht bei uns am Tisch. Etwas verlegen grüßt er aus einer Ecke herüber. Er sitzt dort mit einem blonden Mädchen.
»Den sind wir los«, sagt Willy prophetisch.
Ich selbst passe auf, um eine gute Tänzerin zu schnappen. Das ist gar nicht so einfach, denn manche sieht am Tisch zierlich aus wie ein Reh und tanzt nachher wie ein schwangerer Elefant. Außerdem sind die leichten Tänzerinnen sehr begehrt. Aber es gelingt mir doch, mich mit einer kleinen Näherin zu verabreden.
Ein Tusch ertönt. Jemand mit einer Chrysantheme im Knopfloch tritt vor und erklärt, ein Tanzpaar aus Berlin würde das Neueste vorführen: einen Foxtrott. Den kennen wir hier noch nicht; wir haben nur mal was davon gehört.
Neugierig versammeln wir uns. Die Kapelle intoniert eine abgehackte Musik. Die beiden Tanzenden hüpfen dazu wie Lämmer umeinander herum. Manchmal entfernen sie sich voneinander, dann haken sie sich mit den Armen wieder ein und wirbeln hinkend im Kreise.
Willy reckt sich und macht große Augen. Das ist ein Tanz nach seinem Herzen.
Der Tisch mit den Preisen wird hereingetragen. Wir stürzen hin. Es gibt je drei Preise für Onestep, Boston und Foxtrott. Foxtrott scheidet für uns aus, den können wir nicht; aber in den beiden andern werden wir rangehen wie Blücher.
Der erste Preis besteht jedes Mal aus zehn Möweneiern oder einer Flasche Schnaps. Willy erkundigt sich misstrauisch, ob Möweneier auch essbar wären. Beruhigt kehrt er zurück. Der zweite Preis sind sechs Möweneier oder ein reinwollener Kopfschützer, der dritte vier Eier oder zwei Schachteln Zigaretten, Marke »Deutschlands Heldenruhm«. »Die nehmen wir auf keinen Fall«, sagt Karl, der damit Bescheid weiß.
Das Turnier beginnt. Für den Boston haben wir Karl und Albert vorgesehen; für den Onestep Willy und mich. Auf Willy setzen wir allerdings nur geringe Hoffnung. Er kann nur siegen, wenn die Preisrichter Humor haben.
Im Boston kommen Karl und Albert mit drei anderen Paaren in die Ausscheidungsrunde. Karl ist im Vorsprung; der hohe Kragen seiner Extrauniform, seine Lackstiefel und die Ketten und Ringe seines Schlittenpferdes geben ein Bild verwirrender Eleganz, dem keiner widerstehen kann. In Haltung und Stil ist er einzigartig, aber in Harmonie ist Albert mindestens ebenso gut. Die Richter notieren, als wäre bei Waldmann der Ausscheidungskampf fürs jüngste Gericht. Karl siegt und nimmt die zehn Möweneier, denn die Schnapsmarke kennt er zu genau; er hat sie selbst hierher verkauft. Großmütig schenkt er uns seine Beute; er hat Besseres zu Hause. Albert holt den zweiten Preis. Seine sechs Möweneier bringt er mit einem verlegenen Blick nach uns dem blonden Mädchen. Willy stößt einen Pfiff aus. Im Onestep sause ich mit der kleinen Näherin los und komme auch in die Schlussrunde. Zu meinem Erstaunen ist Willy einfach sitzen geblieben und hat sich überhaupt nicht gemeldet. Ich brilliere mit einer besonderen Variante des Einknickens und Rückwärtsschassierens, die ich vorher nicht gezeigt habe. Die Kleine tanzt wie eine Flaumfeder, und wir schnappen den zweiten Preis, den wir teilen.
Stolz kehre ich mit der silbernen Ehrennadel des Reichsverbandes für Tanzsport an der Brust zu unserem Tisch zurück.
»Willy, du Schafsnase«, sage ich, »warum hast du denn nicht wenigstens einen Versuch gemacht, vielleicht hättest du die bronzene Medaille gekriegt!«
»Ja, tatsächlich«,
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