Der Weg zurück
wüsste.«
Adolf klopft nervös mit der Hand gegen die Stuhllehne. »Nimm Kaffee, Ernst, Butter ist auch da.«
Ich schenke ein, und wir trinken.
»Sieh, Ernst«, sagt er leise, »ihr habt es leichter, ihr habt eure Bücher und eure Bildung und noch so manches. Aber ich – ich habe doch nichts anderes als nur die Frau. –«
Ich sage nichts dazu, denn ich könnte es ihm nicht erklären; er ist nicht mehr derselbe wie im Felde – und ich bin es auch nicht. Nach einer Weile frage ich: »Was sagt sie denn dazu?«
Adolf lässt die Hand fallen. »Sie sagt eigentlich wenig, es ist ja auch nicht viel aus ihr rauszukriegen, sie sitzt da und sieht dich an. Höchstens, dass sie mal weint. Sie redet wenig.«
Er stellt seine Tasse beiseite. »Mal sagt sie, es wäre nur gewesen, damit einer da wäre. Dann wieder, sie begriffe es nicht, sie hätte nicht gewusst, dass sie mir etwas antäte damit, es wäre gewesen, als ob ich da wäre. Aber das versteht man doch nicht, so was muss man doch auseinanderhalten können, sie ist doch sonst vernünftig.«
Ich denke nach. »Vielleicht meint sie, dass sie gar nicht recht bei sich war die Zeit, so, als wenn sie bloß geträumt hätte, Adolf.«
»Kann sein«, antwortet er, »aber ich verstehe es nicht. Lange hat es ja wohl auch nicht gedauert.«
»Sie will doch von dem andern nichts mehr wissen?«, frage ich.
»Sie sagt, sie gehöre hierher.«
Ich denke darüber nach. Aber was soll man weiter fragen. »Ist es nun besser für dich, Adolf?«
Er sieht mich an. »Nicht so ganz, Ernst, das kannst du dir wohl denken, noch nicht. Aber das wird schon kommen, meinst du nicht auch?«
Er sieht selbst nicht so aus, als ob er es recht glaubte.
»Sicher wird es schon kommen, Adolf«, sage ich und lege ein paar Zigarren, die ich mir aufgespart habe, auf den Tisch. Wir sprechen noch etwas, dann gehe ich. Im Flur treffe ich die Frau, die hastig an mir vorbei will. »Auf Wiedersehen, Frau Bethke«, sage ich und halte ihr die Hand hin. »Auf Wiedersehen«, antwortet sie und gibt mir mit abgewandtem Gesicht die Hand.
Adolf bringt mich noch bis zum Bahnhof. Der Wind saust. Ich sehe ihn von der Seite an und denke daran, wie er im Graben immer vor sich hin lächelte, wenn wir vom Frieden sprachen. Was ist nun aus all dem geworden!
Der Zug fährt ab. »Adolf«, sage ich noch rasch aus dem Fenster, »ich verstehe dich ja so gut – du glaubst nicht, wie gut.«
Er geht allein zurück über das Feld zu seinem Hause.
Es läutet zur großen Pause um zehn Uhr. Ich habe eine Stunde Unterricht in der Oberklasse gegeben. Jetzt stürzen die Vierzehnjährigen an mir vorüber ins Freie. Ich beobachte sie vom Fenster aus. In wenigen Sekunden verändern sie sich vollkommen, sie streifen den Zwang der Schule ab und gewinnen die Frische und Unbefangenheit ihres Alters wieder.
Wenn sie in ihren Bänken vor mir sitzen, sind sie nicht echt; sie haben entweder etwas von Duckmäusern und Strebern oder von Heuchlern und Rebellen an sich. Sieben Jahre Unterricht haben es fertiggebracht, sie dazu zu erziehen. Unverbildet, aufrichtig und ahnungslos wie junge Tiere kamen sie von ihren Wiesen, ihren Spielen und Träumen in die Schule – noch galt unter ihnen das einfache Gesetz des Lebendigen –, der Lebendigste, Kraftvollste war der Führer, dem die andern folgten. Aber mit den Wochenportionen der Bildung wurde ihnen allmählich ein anderes, künstliches Gesetz der Bewertung aufgepfropft: Derjenige, der seine Portionen am bravsten auslöffelte, wurde ausgezeichnet und galt als der Beste. Die andern hatten ihm nachzueifern. Kein Wunder, dass die Lebendigsten widerstrebten. Aber sie mussten sich fügen; denn der gute Schüler ist nun einmal das Ideal der Schule. Aber was ist das schon für ein Ideal –! Und was ist schon aus den guten Schülern in der Welt geworden! Im Treibhaus der Schule genossen sie ein kurzes Scheindasein – umso sicherer versanken sie dann nachher in Mittelmäßigkeit und subalterne Belanglosigkeit. Die Welt ist nur von schlechten Schülern vorwärtsgebracht worden.
Ich beobachte die Spielenden. Mit kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen werden sie angeführt von dem krausköpfigen Damm-holt, der mit seiner Energie den ganzen Platz beherrscht. Die Augen funkeln vor Angriffslust und Courage, die Muskeln und Sehnen sind gestrafft, und die andern gehorchen ihm ohne Zögern. In zehn Minuten jedoch wird aus demselben Kerl, wenn er hier auf der Bank sitzt, ein verstockter, widerspenstiger Bursche, der
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