Der Weg zurück
niemals seine Aufgaben kann und wahrscheinlich Ostern sitzen bleiben wird. Er wird ein frommes Gesicht machen, wenn ich ihn ansehe, und hinter mir sofort eine Grimasse schneiden, er wird geläufig lügen, wenn ich ihn frage, ob er seinen Aufsatz abgeschrieben hat, und mir rasch gegen die Hose spucken oder mir einen Heftzwecken auf den Stuhl legen, wenn er Gelegenheit dazu hat. Der Primus aber, der jetzt draußen eine klägliche Figur macht, wird hier im Zimmer wachsen, er wird selbstbewusst den Finger heben, wenn Dammholt keine Antwort weiß und ergeben und wütend auf seine Vier wartet. Der Primus weiß alles, und selbst das weiß er. Aber Dammholt, den ich eigentlich bestrafen müsste, ist mir tausendmal lieber als der blasse Musterknabe.
Ich zucke die Achseln. War es denn nicht schon einmal ähnlich so? Bei der Regimentszusammenkunft im Saale von Konersmann? Galt da nicht plötzlich auch der Mann nichts mehr und der Beruf alles, obschon es vorher ganz anders gewesen war? Ich schüttle den Kopf. Was ist das nur für eine Welt, in die wir da wieder hineingeraten sind. –
Dammholts Stimme gellt über den Platz. Ich denke darüber nach, ob vielleicht eine sehr kameradschaftliche Einstellung des Lehrers zum Schüler weiterführen würde. Mag sein, dass sie das Verhältnis bessern und manches vermeiden könnte – doch im Grunde wäre sie nur eine Täuschung. Ich weiß ja von uns selbst noch: Jugend ist scharfsichtig und unbestechlich. Sie hält zusammen und bildet eine undurchdringliche Front gegen den Erwachsenen. Sie ist nicht sentimental; man kann sich ihr nähern, aber nicht zu ihr hineinkommen. Wer aus dem Paradiese einmal ausgestoßen ist, kann nie zurück. Es gibt ein Gesetz der Jahre. Dammholt würde eine kameradschaftliche Einstellung kaltblütig und mit seinen scharfen Augen zu seinem Vorteil ausnützen. – Vielleicht würde er sogar eine gewisse Anhänglichkeit zeigen; doch das würde ihn nicht hindern, seinen Vorteil wahrzunehmen. Die Erzieher, die mit der Jugend zu fühlen glauben, sind Schwärmer. Jugend will gar nicht verstanden sein; sie will nur so bleiben, wie sie ist. Der Erwachsene, der sich ihr zu aufdringlich nähert, wird ihr ebenso lächerlich, als wenn er Kinderkleidchen anzöge. Wir können mit der Jugend fühlen, aber die Jugend fühlt nicht mit uns. Das ist ihre Rettung.
Die Klingel ertönt. Die Pause ist zu Ende. Dammholt stellt sich zögernd in die Reihe vor der Tür.
Ich schlendere durch das Dorf, der Heide zu. Wolf läuft vor mir her. Plötzlich schießt aus einem Bauernhof eine Dogge heraus und stürzt sich auf ihn. Wolf hat sie nicht kommen sehen. Es gelingt ihr deshalb, ihn im ersten Anlauf umzureißen. Im nächsten Augenblick ist alles ein wüster Knäuel von Staub, umherschlagenden Körpern und rasendem Knurren.
Der Bauer kommt mit einem Knüppel aus dem Hause gelaufen. »Um Gottes willen, Lehrer«, schreit er von weitem, »ruft Euren Hund! Pluto reißt ihn in Stücke!«
Ich winke ab. »Pluto! Pluto! Aas, verdammtes, hierher!«, brüllt er aufgeregt und kommt atemlos heran, um dazwischenzuschlagen. Doch der Staubwirbel fegt mit wüstem Gekläff hundert Meter weiter und ballt sich dort erneut.
»Der ist verloren«, keucht der Bauer und lässt den Knüppel sinken. »Aber ich sage Ihnen gleich, bezahlen tue ich ihn nicht! Sie hätten ihn ja rufen können!«
»Wer ist verloren?«, frage ich.
»Ihr Hund«, erwidert der Bauer ergeben. »Das Luder von Dogge hat schon ein Dutzend davon kaltgemacht.«
»Na, bei Wolf wollen wir das erst mal abwarten«, sage ich, »das ist kein gewöhnlicher Schäferhund, mein Lieber. Das ist ein Kriegshund, ein alter Soldat, verstehen Sie!«
Der Staub verzieht sich. Die beiden Hunde sind auf eine Wiese geraten. Ich sehe, wie die Dogge versucht, Wolf herunterzudrücken und ihn im Kreuz zu schnappen. Wenn es ihr gelingt, ist er verloren, denn sie kann ihm glatt die Rückenwirbel zerknacken. Doch wie ein Aal gleitet der Schäferhund einen Zentimeter vor ihrem Fang über den Boden, wirft sich herum und greift sofort wieder an. Die Dogge knurrt und kläfft – Wolf aber kämpft völlig lautlos.
»Verdammt«, sagt der Bauer.
Die Dogge schüttelt sich, springt zu, schnappt in die Luft, wendet sich wütend um, springt wieder zu und packt abermals vorbei – doch es ist, als wäre sie allein, so wenig sieht man den Schäferhund. Er fliegt wie eine Katze dicht über den Boden, das ist er als Meldehund gewohnt, er schlüpft der Dogge zwischen den Beinen
Weitere Kostenlose Bücher