Der weibliche Weg Gottes
Gesellschaftssystem dieses Kulturraumes einnehmen können: Sie ist die erste Frau — hinter dem ersten Mann.
Blicken wir auf das wechselnde Muster von Abhängigkeiten, dann sind Gott und Maria von nun an ein Paar. Jeder braucht den anderen, um die Aufgabe zu erfüllen, diesem Kind das Leben zu schenken und es liebevoll großzuziehen, damit es wiederum seine Aufgabe erfüllen kann.
Maria symbolisiert zu Beginn ihrer Entwicklung den jungen Menschen, der sein Herz auf der Zunge trägt, spontan ist, mutige Entscheidungen treffen kann und für seine Liebe Wagnisse eingeht. Sie symbolisiert damit aber auch das junge Mädchen in uns. Voll der Hoffnung und Euphorie, begeisterungsfähig, bereit, uns einzulassen, nur aus dem Gefühl heraus, nur aus dem Moment heraus — gleichgültig, wie alt wir sind. Bereit zur Hingabe, ein Kind zu empfangen und zur Welt zu bringen, bereit, Verantwortung dafür zu übernehmen, bereit, andere Interessen zugunsten dieser neuen Liebe zurückzustellen — auch wenn dieses „Kind“ ein neues Projekt, eine neue Aufgabe, ein neues Zuhause oder was auch immer ist.
Maria macht es uns vor, wie man sich lauthals freuen kann. Da kann man nicht zu Hause sitzen und alles seinen normalen Gang gehen lassen. Mit so viel Freude kann man nicht ruhig auf dem Stuhl sitzen. Diese Freude braucht Bewegung und Austausch. So geht Maria zu Elisabeth, die genau wie sie durch die eigene Schwangerschaft überrascht ist. Drei Monate bleibt sie dort. Es sieht so aus, als sei sie kurz vor der Geburt des Johannes wieder gegangen. So unbekümmert verhält sich eine junge Frau, oder was war der Grund?
Sechs Monate später wird Maria Mutter, unter nicht gerade optimalen Bedingungen. War es eine schwere oder leichte Geburt? Wie lange hat sie gedauert? Wer hat ihr Schreien in den Wehen gehört? Wer hat ihr geholfen? Hatten die Hirten auch Frauen? Sind die gekommen? Wer hat für Maria etwas Warmes gekocht? Wir wissen es nicht. Die Überlieferung ist unbefriedigend, weil menschliche Details untergehen, weil der Sohn von nun an wichtiger scheint als die Mutter.
Maria ist bei der Geburt Gefäß und Kanal für den Plan ihres himmlischen Mannes. Alles Augenmerk richtet sich von nun an auf den Jungen im Rampenlicht. Künftige Generationen halten an dieser Darstellung fest. Wenige Krippenszenen zeigen Frauen bei Maria. Meist ist sie die einzige Frau unter Männern. Ist das der Preis der Erhöhung über andere Frauen?
Maria trägt ihren Teil zum Gelingen des göttlichen Planes bei. Gott übernimmt den männlichen Part. Er schafft stabile Rahmenbedingungen und beschützt seine Familie: Er wird aktiv, als sich Leihvater Josef aus der Verbindung zurückziehen will, und lässt es nicht zu, dass er abhaut. Gott gibt auch den Hinweis zur Flucht, als das Leben seines Sohnes gleich nach der Geburt in Gefahr ist.
Wenn ein Menschensohn der versprochene Messias ist, dann braucht er eine Familie, in die er hineingeboren wird. Er braucht einen Stammbaum für sein Umfeld, auf den er sich berufen kann. Maria braucht das für ihr Kind und für ihr eigenes Ansehen. In unserer Gesellschaft könnte sie als allein erziehende Mutter bestehen, vor zweitausend Jahren war das schier unmöglich für eine Frau, die ihren guten Ruf und ihre finanzielle Versorgung für sich und ihr Kind erhalten wollte. Und so leitet sich der Stammbaum von Jesus über seinen Leihvater Josef ab, über David bis hin zu Abraham (Matt.1.1).
Wie es in den nächsten dreißig Jahren weitergeht, der Zeit, in der ihr Kind sich auf seine Aufgabe vorbereitet, wissen wir nicht. Mit zwölf Jahren geht Jesus verloren. Drei Tage suchen Maria und Josef ihren Sohn, im Tempel finden sie ihn: Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? (Luk. 2.49) Woher weiß Jesus das? Ist es das Wissen um seine Stellung auf der Welt, oder hat er dieses Wissen von seiner Mutter, die ihn über seine Zeugung und Mission aufgeklärt hat? Vielleicht beides, wir wissen es nicht. Das scheint auch für die nächsten Jahre nicht von Bedeutung zu sein. Es passiert lange nichts, was überliefert wird.
Ihr Sohn lässt sich wirklich Zeit, bis er seine Berufung annimmt, jedenfalls muss es einer Mutter so Vorkommen, der ein König versprochen wurde, der Sohn des Höchsten. Es ist zu vermuten, dass Jesus über intellektuelle Bildung verfügt, seine emotionale Intelligenz bereits gezeigt hat, anders ist als andere — aber wissen wir es?
Die Freunde und Spielgefährten seiner Jugend haben
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