Der Weihnachtsfluch - Roman
können.«
»Sie geht nicht oft zu Gesellschaften. Sie ist mit einem Polizisten verheiratet - in hoher Stellung.« Sie wusste auch nicht, warum sie das noch hinzugefügt hatte. Pitt hatte noch ganz unten auf der Karriereleiter gestanden, als Charlotte ihn geheiratet hatte. Auch sie hatte aus
Liebe gehandelt und sich nicht darum geschert, was andere dachten. Im Nachhinein vermisste Emily die Zeit, als sie und Charlotte eine Rolle bei der Aufklärung einiger von Pitts schwierigsten Fällen gespielt hatten. Als er in eine Spezialabteilung gewechselt hatte, war diese Art Hilfe kaum noch möglich gewesen. Bälle, Theater, Dinner, das mochte ja alles Spaß machen, aber nach einer Weile fehlte einem der tiefere Sinn. Es war nur eine oberflächliche Welt voller Glanz und Vergnügen, es fehlten die tiefen Gefühle.
»Ich habe Sie verletzt«, sagte Daniel reumütig. »Das tut mir leid. Sie sind so nett zu mir gewesen, und ich hätte Sie gerne besser kennengelernt. Ich glaube, ich war zu unsensibel mit meinen Fragen. Bitte verzeihen Sie mir.«
»Aber nicht doch«, log sie und leugnete sofort, dass er die Wahrheit getroffen hatte. Sie war nicht unglücklich, und er durfte das auch nicht denken. Sie sah ihn an, um sicher zu sein, dass er verstanden hatte. Er lächelte, aber sie konnte seine Gedanken nicht lesen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass er sie weit besser verstanden hatte, als es ihr lieb war.
Plötzlich erinnerte sie sich mit schmerzlicher Klarheit an Father Tyndales Worte über Connor Riordan, dass er viele Fragen gestellt, Wunden offengelegt hatte, sodass man nicht mehr lügen, sie nicht mehr ignorieren konnte. Wessen Träume hatte er auf unerträgliche Weise vernichtet? War ihm das überhaupt bewusst gewesen? Wiederholte sich die Geschichte jetzt? War Emily der Anfang?
Sollte sie die Sache weiterverfolgen? Sollte sie es wagen? Die Alternative wäre noch schlimmer: Feigheit, die das Dorf aussterben ließe. Sie müsste sich ganz auf die Nachforschungen konzentrieren, nicht nur an der Oberfläche herumkratzen, nicht nur Ängste und Zweifel wecken, ohne dass etwas dabei herauskäme. Sie könnte sogar noch unschönere Dinge wachrufen als die, die ohnehin die Menschen bewegten. Hätte sie erst einmal angefangen, wäre es moralisch nicht zu rechtfertigen, aufzuhören, bevor nicht die ganze Wahrheit auf dem Tisch läge. War sie wirklich bereit dazu? War sie überhaupt in der Lage, so etwas zu tun? Wie könnte sie mit den Ergebnissen klarkommen?
Am liebsten würde sie Susannah nichts davon erzählen. Sie hatte ohnehin genügend Kummer, mit dem sie fertigwerden musste. Aber Emily konnte ohne ihre Hilfe keinen Erfolg haben. Während ihrer Selbstgespräche merkte sie, dass sie sich schon entschieden hatte. Ein Scheitern wäre eine Tragödie, aber es gar nicht erst zu versuchen, wäre auf jeden Fall eine Niederlage.
Erst beim Tee am Nachmittag, als sich Daniel, der immer noch unter den schweren Prellungen litt und den die Müdigkeit, ja vielleicht auch die Trauer, eingeholt hatte, wieder schlafen gelegt hatte, fand Emily Gelegenheit, alleine mit Susannah zu sprechen. Sie hatte sich kaum Gedanken gemacht über die Einsamkeit, die er empfinden musste, und über den Verlust, dem er keine Namen oder Gesichter, nur eine vernichtende Leere zuordnen konnte.
Emily und Susannah saßen mit Scones, Butter, Marmelade und Cream beim Kamin. Emily vermisste die leuchtenden Flammen eines Kohle- oder Holzfeuers, aber sie hatte sich langsam an den erdigen Geruch des Torfs gewöhnt.
Sie berichtete Susannah von dem Morgen in der Kirche und dann von dem Weg zurück mit Daniel, von den Fragen, die sie gestellt hatte, und davon, wie verwirrt sie von seinen tiefgründigen Bemerkungen gewesen war, die ihr klargemacht hatten, was Father Tyndale gemeint hatte, als er ihr von Connor Riordan erzählt hatte.
Eine ganze Weile saß Susannah mit trübem, sorgenvollem Gesichtsausdruck still da.
»War das der eigentliche Grund, weshalb du wolltest, dass ich komme?«, fragte Emily sanft und beugte sich etwas vor. Ihr war diese unverblümte Frage unangenehm, aber sie wusste ja nicht, wie viel Zeit sie noch hatten, dem allem nachzugehen.
»Eigentlich hatte ich ja Charlotte geschrieben«, stellte Susannah entschuldigend fest. »Aber dann hat mir Thomas erzählt, dass du ihm anfänglich auch sehr geholfen hast. Bitte entschuldige. Das mag dir taktlos erscheinen, aber uns bleibt keine Zeit, höflich um den heißen Brei
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