Der Weihnachtsfluch - Roman
kam Emily in den Sinn, dass er fast verzweifelt versuchte, ein Echo von Vertrautheit unter ihnen zu finden, jemanden, der Seeleute und Katastrophen kannte und der ihn verstehen würde.
Langsam zerstreuten sich die Kirchgänger, und nur noch ein halbes Dutzend Leute blieben übrig. Sie stand auf dem holprigen Friedhofsweg zwischen den Grabsteinen, nur ein paar Meter von Father Tyndale entfernt, der sich gerade von einem alten Mann mit weißem Haar, weiß wie das Gras an der Landspitze, verabschiedete. Father Tyndale schien über den Mann hinwegzuschauen, zu Daniel, der sich mit Brendan Flaherty unterhielt, und sie sah die Angst in Father Tyndales Gesicht, so als wäre das alles schon einmal geschehen, in den Tagen, die dem Tod von Connor Riordan vorausgegangen waren.
Emily und Daniel gingen langsam die Straße entlang nach Hause. Daniel schien müde zu sein, und wie er Hugos Mantel immer wieder auf seinen Schultern zurechtrückte, merkte sie, dass die Prellungen noch wehtun mussten. Vielleicht hatte er sogar Glück gehabt, dass das von den Wellen umhergeschleuderte Wrack ihn nicht noch schlimmer verletzt hatte. Er war in Gedanken verloren, so als ob der unterschwellige Schmerz des Dorfes zu seinem eigenen hinzugekommen wäre.
So konnte es nicht weitergehen. Jemand musste die Wahrheit über Connor Riordans Tod herausfinden. Was immer dabei herauskäme, es wäre auf jeden Fall besser als dieser nagende Zweifel. Daniels Gegenwart hatte die Angst vergrößert; er hatte sie unbewusst zu neuem Leben erweckt.
Sie fuhr auf, als er plötzlich sprach: »Sie sind nicht katholisch, stimmt’s?« Es war eine Feststellung.
»Ja«, antwortete sie erstaunt. »Habe ich mich so danebenbenommen? Es tut mir leid.«
Er grinste. Er hatte wunderschöne Zähne, sehr weiß und etwas uneben. »Nein, gar nicht. Ab und an tut es gut, den Glauben durch die Augen eines Fremden zu sehen. Wir finden alles viel zu selbstverständlich. War Ihre Tante katholisch, bevor sie hierherkam und heiratete?«
»Nein.«
»Das habe ich mir gedacht. Sie hat großen Mut bewiesen. Muss ihn wohl sehr geliebt haben. Ich wette all mein Vermögen - wenn ich denn welches hätte -, dass Connemara ganz anders ist als da, wo sie herkam.«
»Und Sie würden gewinnen«, stimmte sie ihm lächelnd zu.
»Sicher einen doppelten Gewinn«, sagte er verschmitzt. »Und Ihre Familie war ganz und gar nicht erfreut.«
»Nein. Mein Vater war sehr aufgebracht.«
Er sah sie an, und sie hatte das unangenehme Gefühl, er wusste, dass sie nicht ganz die Wahrheit sagte und ihre Rolle in der Angelegenheit etwas beschönigte.
»Sie gehören der anglikanischen Kirche an«, schlussfolgerte er.
»Ja.«
»Wie ich gehört habe, gibt es da einen ziemlichen Unterschied zu uns. Ich weiß zu wenig über die anglikanische Kirche, um mir ein Bild zu machen. Ist sie wirklich so anders?«
»Es ist eine Frage der Loyalität«, antwortete sie, so wie es ihr Vater ihr erklärt hatte. »An erster Stelle steht die Vaterlandstreue.«
»Ach so.« Er sah verwirrt aus.
»Ich glaube, Sie verstehen das nicht ganz.« Sie brachte es nicht fertig zu sagen, was sie dachte. »Das eigentliche Problem ist die Treue zu Rom in der katholischen Kirche.«
»Zu Rom? Ich dachte, es ginge um Gott … oder um Irland?«
Er lachte sie aus, aber sie konnte es ihm einfach nicht übelnehmen. So ausgedrückt, war das natürlich absurd. Die ganze Entfremdung war töricht, es ging nicht um Loyalität. Gehorsam und Anpassung kämen der Wahrheit schon näher.
»Sie haben Susannah hier noch nie zuvor besucht«, stellte er fest.
Es wäre zwecklos, das zu leugnen. Offensichtlich war sie eine Fremde.
»Jetzt ist sie krank.« Auch das war offensichtlich. Es klang so, als ob das der einzige Grund für ihr Kommen war. Sie wäre nicht gekommen, wenn es Susannah gutgehen würde. Nun, das stimmte ja auch. Tatsächlich wäre sie nicht mal jetzt angereist, hätte Jack sie nicht so weit gebracht. Seine Meinung war ausschlaggebend gewesen. Mehr als ihr bewusst war, war es ihr wichtig, was er von ihr hielt. Aber auch das ging Daniel nichts an.
»Und jetzt sind Sie da, weil Sie sich um sie kümmern wollen?«
»Nein. Ich wollte Weihnachten mit ihr verbringen.«
»Eine gute Zeit, um zu vergeben«, sagte er und nickte.
»Ich vergebe ihr nicht«, schnappte Emily zurück.
Er zuckte zusammen.
»Ich vergebe ihr nicht, weil es nichts zu vergeben gibt«, sagte sie wütend. »Sie hat das Recht, zu heiraten, wen sie möchte.«
»Aber Ihr
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