Der Weihnachtsfluch - Roman
solange Susannah so krank war, das Dorf nicht verlassen konnte.
»Ich weiß«, sagte sie sogleich. »Aber was wäre die Alternative? Ihr zu sagen, dass ich aufgegeben habe?«
Er seufzte. »Ich werde einen der Männer im Dorf bitten, Sie zu begleiten. Vielleicht Rob Molloy oder Michael Flanagan.«
»Nein … danke«, antwortete sie umgehend. »Jemand aus dem Dorf hat Connor getötet. Alleine bin ich sicherer und niemand im Dorf soll wissen, dass ich weg bin. Bitte.«
Father Tyndale presste die Lippen zusammen, seine schwarzen Augen wirkten gekränkt, aber er widersprach nicht. Er versprach, um neun Uhr das Pony und den Einspänner für sie bereitzuhalten. Sie teilte ihm mit, dass sie lieber zu ihm käme, als sich abholen zu lassen.
Sie ging die Straße entlang zu Susannah zurück. Es war jetzt stockdunkel, und sie war froh, dass sie die Laterne mitgebracht hatte. Der kräftige Wind peitschte und war jetzt kälter.
Am Morgen brach sie auf, nachdem sie Susannah kurz auf Wiedersehen gesagt hatte. Sie hatte ihr alles am Vorabend erklärt. Sowohl wohin sie fuhr als auch warum, und dass Daniel, bis sie zurückkam, bei Father Tyndale bleiben würde. Hierfür bedurfte es keiner Erklärung.
»Ich komme so bald wie möglich zurück«, sagte sie und suchte in Susannahs Blick die Hoffnung oder die Angst, die sie vielleicht nicht in Worte fassen konnte. »Bist du dir auch ganz sicher, dass ich gehen soll?«, fügte sie noch spontan hinzu. »Wenn du möchtest, kann ich es mir noch anders überlegen.«
Susannah sah blass aus, ihr Gesicht war noch hagerer als sonst, aber sie hatte keinerlei Zweifel. Sie lächelte. »Bitte, geh. Vor dem Tod habe ich keine Angst, nur davor, etwas ungeklärt zurückzulassen. Die Leute im Dorf sind immer gut zu mir gewesen. Sie haben mich aufgenommen, als wäre ich eine von ihnen. Es sind Hugos Freunde, und ich liebte ihn mehr als ich das jemals in Worte fassen kann. Ich bin bereit zu sterben und zu ihm zu gehen, wo auch immer das sein mag. Nur da will ich
sein. Aber ich möchte den Menschen hier etwas hinterlassen für die Liebe, die sie mir geschenkt haben, und mehr noch für seine Liebe für sie. Ich möchte noch erleben, wenn sie anfangen zu genesen. Geh, Emily, und was auch immer du findest, bring es zurück. Sorge dafür, dass es alle wissen, egal, ob ich noch hier bin oder nicht. Und fühle dich deswegen niemals schuldig. Du hast mir das größte Geschenk gemacht, das ich mir vorstellen kann, und dafür bin ich dir sehr dankbar.«
Emily beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die bleiche Wange. Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie aus dem Zimmer ging.
Die Reise war lang und bitterkalt, aber Jenny schien den Weg auch ohne Emilys Führung und Father Tyndales Anweisungen zu kennen. Die Landschaft war von einer einsamen Schönheit, die sie auf eine eigenartige Weise tröstete. Selbst bei dem gelegentlichen Nieselregen hatte sie eine Tiefe, die sich je nach Licht ständig veränderte, so, als ob mehrere Grasschichten übereinanderlägen. Dort, wo die Sonne die Steine bestrahlte, leuchteten sie hell, und in den Bergen, in der Ferne, zogen Schatten vorüber, die sich immer wieder veränderten.
Als sie endlich Galway erreichte, fand sie nach kurzen Erkundigungen ein Hotel mit einem Stall für das Pony. Nachdem sie eine gute Mahlzeit zu sich genommen und trockene Kleidung und Schuhwerk angezogen hatte, machte sie sich auf den Weg, um Hugos Spuren von vor sieben Jahren zu folgen.
Während der langen Fahrt hatte sie ausführlich darüber
nachgedacht, wo Hugo wohl zuerst nach Connors Familie gesucht hatte. Father Tyndale hatte ihr gesagt, Hugo hätte einen stillen, aber tiefen Glauben gehabt und wäre sonntags meistens in die Kirche gekommen. Sicher hatte er zuerst bei den Kirchen in Galway nachgefragt, ob sie die Familie von Connor Riordan kannten. Ob sie nun zur Kirche gingen oder nicht, der örtliche Pfarrer hätte sie zumindest gekannt.
Es war ein Leichtes, eine Kirche zu finden, jeder Passant konnte ihr den Weg erklären. Die Suche nach derjenigen, wo die Riordans bekannt waren, dauerte dann etwas länger. Es war schon dunkel, als Emily endlich im Wohnzimmer des Pfarrhauses Father Malahide gegenübersaß und im Kerzenlicht in sein hageres, freundliches Gesicht blickte. Der Raum verströmte den erdigen Torfgeruch gemischt mit schwerem Tabakrauch.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Mrs. Radley?«, fragte er neugierig. Er erkundigte sich nicht, was eine Engländerin wohl in Galway zu
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