Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Blutflecken an der Mauer, Fußabdrücke mit Blut an den Rändern. Wenn er überhaupt verletzt war und es nicht das Blut des armen Chuttur war, das er an den Kleidern hatte, dann war er auf jeden Fall nur leicht verletzt, leider. Am liebsten wäre mir, das Schwein wäre tot, würde irgendwo im Gebüsch liegen oder in einem der steinigen Flussbetten und von den Aasgeiern zerpflückt werden. Aber bis zu den Rebellen ist er zumindest vorgedrungen, er hatte ihnen ja verraten, wo sie die Patrouille hinterrücks überfallen konnten.«
    Sein Gesicht war angespannt, von Gefühlen überwältigt. Wenn die Leichen überhaupt zurückgebracht worden waren, war wohl Rawlins derjenige gewesen, der sie gesehen und vielleicht vor der Bestattung identifiziert hatte. Und auch er musste den Mann behandelt haben, der noch lebend zu ihm gekommen war und dann an seinen Verletzungen gestorben war. Und ebenso Tierney, den einzigen Überlebenden. Narraway war eindeutig lieber Soldat als Stabsarzt. Auch wenn er Tallis verteidigen musste, war das immer noch besser als Rawlins’ Job.
    »Das spielt jetzt alles keine Rolle mehr«, stimmte er Rawlins zu. »Wie Sie schon sagten: Die Tatsachen erlauben nur eine Schlussfolgerung. Ich sehe keine Chance, zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Wie geht es Tierney? Überlebt er?«
    »Möglich. Hat ein Bein verloren. Ich hätte es gerne gerettet, aber der Knochen war völlig zersplittert. Wenn Sie wollen, können Sie ihn sehen, aber ich glaube nicht, dass er etwas zu sagen hat. Dhuleep hat die Patrouille zweifelsfrei verraten, aber das ändert nichts an Ihrem Vorgehen. Sie brauchen die Frage gar nicht erst aufzuwerfen. Damit verschwenden Sie nur Zeit, Ihre und die des Gerichts.«
    »Ich möchte ihn sehen, wenn er dazu bereit ist.« Narraway erhob sich. »Ich möchte ihn aber … nicht unnötig aufregen.«
    Rawlins stand ebenfalls auf. »Vielleicht freut er sich sogar, wenn er mit jemandem sprechen kann. Es geht ihm immer noch nicht gut. Liegt nur da. Meistens alleine. Gegen die Schmerzen tun wir alles, was in unserer Macht steht, aber er ist kein Dummkopf. Er weiß, dass unser aller Leben nur an einem seidenen Faden hängt. In ein paar Monaten sind wir womöglich alle tot, wenn wir das Steuer nicht herumreißen. Ja, das sind schlechte Nachrichten.«
    »Ja«, stimmte ihm Narraway zu. »Soweit ich informiert bin. Aber wir haben Campbell. Der könnte bis Weihnachten die Sache zum Guten wenden. Erinnern Sie sich an den Krimkrieg, Balaklawa?«
    Ein schiefes Grinsen machte sich auf Rawlins Gesicht breit. »Die Highland Brigade: ›Hier stehen wir, hier sterben wir.‹« Er zitierte Campbells Schlachtruf an seine Soldaten. »Nicht gerade das, was ich im Sinn hatte.«
    »Immerhin gewann er«, erwähnte Narraway.
    »Ja, warum sollte sich nicht auch hier alles zum Guten wenden? Ich bringe Sie zu Tierney, wenn er wach ist. Ihm zuliebe, nicht Ihnen zuliebe. Er wird Ihnen rein gar nichts sagen können, das Ihnen weiterhelfen könnte. Hier entlang.«
    Rawlins führte Narraway in ein kleines Krankenzimmer, in dem nur ein Bett belegt war. Tierney lag auf ein Kissen gestützt da. Sein Gesicht war fast farblos, die Wangen waren eingefallen, und die Wangenknochen traten scharf hervor. Seine Haut sah gespannt aus, verletzlich, wie Papier. Er hätte jedes Alter zwischen zwanzig und vierzig haben können. Das Bettzeug wurde mit einem Gestell hochgehalten. Darunter hätte eigentlich sein linkes Bein gelegen.
    Narraway bereute sofort, dass er gekommen war, aber jetzt war es zu spät, einen Rückzieher zu machen. Wie konnte sich Rawlins Tag für Tag diesen Dingen stellen, ohne verrückt zu werden?
    Obwohl sie ganz leise eingetreten waren, musste Tierney wohl ihre Anwesenheit gespürt haben, denn er öffnete die Augen und sah Rawlins an.
    »Hallo, Doc. Schauen Sie nach, ob ich noch da bin?« Er lächelte sehr schwach.
    Rawlins lächelte auch. »Sie sind zurzeit der einzige stationäre Patient. Ich muss also nach Ihnen sehen«, antwortete er heiter. »Wenn ich nicht ausgelastet bin, werde ich womöglich nicht bezahlt. Und wie soll ich mir dann eine anständige Zigarre kaufen?«
    »Darauf hätte ich auch richtig Lust«, erwiderte Tierney heiser. »Eine anständige Zigarre.«
    »Ich bringe Ihnen eine vorbei«, versprach Rawlins. »Aber wenn Sie damit das Bett abfackeln, müssen Sie verdammt noch mal auf dem Boden schlafen.«
    Tierney musste lachen. Es war ein derber, krächzender Laut. »Das würde ich nicht einmal merken! Was ist

Weitere Kostenlose Bücher