Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)
bewaffnete Soldaten. Im Raum dahinter warteten mehrere Zeugen. Ein paar jüngere Offiziere schienen als Gerichtsdiener zu fungieren, und ein dritter saß etwas abseits an einem kleinen Tisch, den Stift bereit, um das Protokoll aufzunehmen. Narraway konnte sich gar nicht vorstellen, wie um alles in der Welt dieser das Gesagte festhalten wollte.
Sobald die Formalitäten erledigt waren, rief Busby seinen ersten Zeugen auf. Allein schon seine forsche Art zu sprechen, seine akkurate Uniform und seine makellose Frisur machten unmissverständlich klar, dass er beabsichtigte, die Gesetze genau einzuhalten.
Natürlich wusste er, dass er den Prozess gewinnen wür de. Es gäbe keine Wortgefechte, es war alles nur eine Form sache.
Grant wurde in den Zeugenstand gerufen. Er betrat ihn in aufrechter Haltung, sah aber merkwürdig müde aus, als ob es ihm schwerfiele, sich auf die Angelegenheit zu konzentrieren. Er blickte Busby an und wartete.
Busby stand auf und sprach so leise, als wären nur sie beide im Raum.
»Es tut mir leid, dass ich Sie noch einmal zu allem befra gen muss, Korporal Grant«, sagte er langsam. »Sicher verstehen Sie die Notwendigkeit. Wir müssen hier Recht sprechen, nicht nur wegen der Toten und ihrer Familien, sondern auch wegen der Lebenden. Es muss auch außerhalb dieses Regiments und außerhalb Kanpurs bekannt werden, dass ein Mord bestraft wird, fair und gerecht, und dass unser Handeln nicht von Rache bestimmt wird.«
»Ja, Sir«, antwortete Grant und straffte seine Schultern noch etwas mehr.
Schritt für Schritt führte Busby ihn durch die Befragung: das Hören des Alarms, die Arbeit, die er stehen und liegen ließ, um zum Gefängnis zu eilen. Er musste genau beschreiben, was er getan, was er gesehen hatte. Er sollte nicht unnötig auf die schrecklichen Bilder eingehen, um Narraway keine Gelegenheit zu bieten, ihm vorzuwerfen, er spiele mit Emotionen und hielte sich nicht an die Tatsachen. Jeder im Raum hatte genug Schreckliches erlebt, und man brauchte es nicht noch weiter auszumalen. Vielleicht waren die Anwesenden auch schon überfordert von alldem Mitleid und der Trauer. Selbst ein Soldat, der durch den Krieg gestählt ist, kann nur eine gewisse Menge an Gräueltaten ertragen, bevor es sich auf sein Gemüt schlägt.
»Danke«, sagte Busby, als Grant ans Ende seiner Beschreibung kam. »Bitte warten Sie hier, falls Leutnant Narraway Sie noch etwas fragen möchte.«
Narraway erhob sich langsam. Er war empört über sich, als er merkte, dass er zitterte. Absurd. Er würde den Prozess verlieren. Er war vorbei, bevor er richtig angefangen hatte. Das Beste, was er erhoffen konnte, war einen Beweggrund zu finden, der die Tat erklärte.
Er räusperte sich. »Korporal Grant, als ich gestern mit Ihnen über diese Tragödie sprach, sagten Sie mir, dass Chuttur Singh tödlich verletzt war, als Sie ihn fanden.«
»Ja, Sir«, erwiderte Grant, ohne zu zögern. Auch er war nervös, der Körper in der Uniform angespannt, seine hochgezogenen Schultern verkrampft. Er hatte sowohl Chuttur Singh als auch Tallis gemocht. Die Befragung setzte ihm sichtlich zu.
»Wir verstehen, dass Sie nichts für ihn tun konnten, Korporal«, sagte Narraway so schonend wie möglich. »Sie berichteten Hauptmann Busby, dass Chuttur Singh Ihnen sagte, dass der Gefangene geflüchtet sei und dass es wichtiger als alles andere wäre, ihn zu ergreifen. Stimmt das so?«
Busby bewegte sich ungeduldig.
Latimer hob die Hand, um ihn am Eingreifen zu hindern.
»Ja, Sir.«
»Er sagte Ihnen, Sie sollten sich nicht um ihn kümmern, sondern den Gefangenen, Dhuleep Singh, verfolgen?«, hakte Narraway nach. »Weil dieser die Route und den Zeitplan der Patrouille kannte?«
»Ja, Sir.«
»Wissen Sie, woher Chuttur Singh diese Information hatte?«
Grant sah ihn leicht verwundert an. »Nein, Sir.«
»Sie haben das aber nicht infrage gestellt?«
»Nein, Sir.«
»Sie sagten mir, dass nach Chuttur Singhs Aussage jemand von außen in das Gefängnis hereingekommen sei und ihn angegriffen habe. Ich fragte Sie, ob er Ihnen gesagt hat, wer dieser Mann war. Darauf sagten Sie, dass er es Ihnen nicht mitgeteilt habe. Stimmt das so?«
Grant stieß seinen Atem langsam aus. »Ja, Sir. Das ist korrekt. Ich … ich glaube, er wusste es selbst nicht.«
»Es ist also nicht so, dass er es Ihnen gesagt hat und Sie es aus irgendeinem Grund verschweigen?« Narraway bedrängte ihn regelrecht.
Busby erhob sich. »Oberst Latimer, das ist …«
Latimer hob
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