Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)
begraben. Die zwei Überlebenden wurden mitgenommen. Ja, ich habe sie gesehen. Einer ist auf dem Rückzug gestorben. Bei dem anderen sieht es so aus, als könnte er genesen, aber er hat ein Bein verloren.«
»Die Leichen waren vermutlich grausam zugerichtet?«, fragte Busby, obwohl es wie eine Schlussfolgerung klang.
»Sie wurden in einen Hinterhalt gelockt und starben im Kampf«, erwiderte Rawlins gereizt. »Sir, Sie haben kein Recht, ihnen zu unterstellen, dass sie nicht gekämpft hätten.«
Busby machte einen Rückzieher. »Entschuldigen Sie bitte. Das wollte ich wirklich nicht damit sagen. Sie wurden überrumpelt, verraten, aber ich kann mir vorstellen, dass sie auch einige Feinde mit in den Tod nahmen. Nicht wie bei dem armen Chuttur Singh, an dem auf andere Weise Verrat geübt worden ist: zwei gegen einen.«
Rawlins schwieg.
Busby bewegte sich kaum merklich. Der kleine Raum bot wenig Platz. Er schien sich bereits eingeengt zu fühlen.
»Können Sie uns noch etwas über das schreckliche Ereignis berichten, etwas, das die Angelegenheit aufklären könnte, sodass Gerechtigkeit walten kann, und wir alle sicher sein können, dass wir die Wahrheit herausgefunden und niemandem unrecht getan haben?«
Rawlins beugte sich leicht nach vorne und blickte Busby an. »Hauptmann, meine Aufgabe ist es nicht, einen Menschen zu richten, sondern ihn zu heilen, soweit das in meiner Macht steht. Ich weiß nicht, was in diesem Gefängnis geschehen ist, wer die Tat begangen hat und warum. Ich habe Ihnen berichtet, welche Verletzungen Chuttur Singh hatte, als er in die Krankenstation gebracht wurde. Ich kann nicht mehr daraus schließen, als ich Ihnen bereits gesagt habe.«
»Danke, Dr. Rawlins. Das habe ich schon vermutet.« Busby schien noch etwas hinzufügen zu wollen, überlegte es sich jedoch anders und wandte sich Narraway zu. Busbys Gesichtsausdruck schien mild und freundlich. Man hätte meinen können, dass er Narraway fast schon bedauerte, wäre da nicht ein zorniges Funkeln in seinen Augen gewesen.
Narraway erhob sich. Ihm war klar, dass das seine letzte Chance war. Er spürte immer noch einen nagenden Schmerz in sich, über den er nicht hinweggehen konnte. Wenn Tallis doch unschuldig war? Gäbe es womöglich noch eine ganz andere Frage, an die bisher niemand gedacht hatte, weil die Antwort nur schwer zu ertragen wäre?
Er wandte sich Rawlins zu. Bei ihm waren Narraway Grenzen gesetzt. Rawlins war nicht sein Zeuge – er konnte nur die Dinge ansprechen, die Busby vorgebracht hatte.
»Wie lange sind Sie schon Arzt in diesem Regiment, Sir?«
Busby stand noch. »Wollen Sie etwa Dr. Rawlins’ Qualifikation infrage stellen?«, fragte er ungläubig.
»Selbstverständlich nicht!«, erwiderte Narraway scharf. »Ich beziehe mich gerade auf seine äußerst beachtlichen Fachkenntnisse. Glauben Sie denn, ich sollte seine Qualifikation anzweifeln?« Er gab seiner Stimme einen ebenfalls hochmütigen, zweifelnden Ton.
»Um Gottes willen, Mann!« Busby explodierte.
Latimer schlug auf den Tisch. »Hauptmann Busby, wir werden in diesem Gericht den Namen unseres Herrn nicht verunglimpfen. Nun, wir befinden uns weit weg von der Heimat und in beträchtlicher Gefahr, aber gerade deshalb sollten wir hier in Würde handeln. Würden Sie bitte Leutnant Narraway seine Fragen stellen lassen? Wenn sie nicht angemessen sind, werde ich ihm das mitteilen und sonst keiner.«
Ein plötzlicher Ausdruck des Zorns schoss in Busbys Gesicht, dann nahm er aber seinen Platz wieder ein.
Narraway setzte an, Latimer zu danken, überlegte es sich aber anders. Das würde der Sache zu viel Bedeutung geben und wäre wahrscheinlich unklug. Er neigte leicht den Kopf zur Seite und wandte sich wieder Rawlins zu.
»Wie lange sind Sie schon Arzt in diesem Regiment, Sir?«, wiederholte er seine Frage.
»Siebeneinhalb Jahre.«
»Haben Sie immer schon Sanitäter wie John Tallis gehabt?«
»Ja, natürlich.«
»Wie lange war John Tallis schon bei Ihnen?«
»Ungefähr zwei Jahre.«
»Wie bewährte er sich in dieser Zeit?«
Narraway spürte, wie sein Herz klopfte und der Atem ihm stockte. Er wusste nicht, wie Rawlins antworten würde.
Rawlins richtete sich auf und straffte seine Schultern. An seiner Schläfe zuckte ein winziger Muskel. Seine helle Haut war sonnenverbrannt, an einigen Stellen sogar stark. Er sah unendlich müde aus.
»Ich fand ihn undiszipliniert«, sagte er leise. »Sein Humor war, gelinde gesagt, unberechenbar. Er widersetzte sich häufig.
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