Der Weihnachtswunsch
nur noch einer, den ich aufsuchen muss. Gary Rossi. Gibt es irgendwas Besonderes, wovor ich gewarnt werden sollte?«
Linda zögerte. »Ja, aber ich glaube nicht, dass ich es Ihnen verraten sollte.«
»Warum denn nicht?«
»Es wird vermutlich das Beste für Sie sein, wenn Sie es selbst rausfinden.«
»Das verheißt nichts Gutes.« Er nahm die Unterlagen und sah sie durch. »Haben Sie einen Stift?«
»Hier.«
Er unterschrieb den Mietvertrag und gab ihn Linda zurück.
»Wann werden Sie Rossi besuchen?«, fragte Linda. »Wenn ich zurückkomme.«
»Zurück? Sie fahren weg?«
»Sie müssen für mich einen Flug nach Boston buchen.« Linda lächelte. »Treffen Sie sich mit Jimmy?«
»Ich werd’s versuchen.«
»Wann möchten Sie denn abfliegen?« Sie zog ihren Electronic Organizer hervor. »Sobald wie möglich.«
»Gut. Ich simse Ihnen die Abflugdaten.«
»Danke.«
An der Eingangstür drehte Linda sich noch einmal um. »Jimmy wird sich außerordentlich freuen, Sie zu sehen.«
»Das hoffe ich«, sagte Kier.
In seinem Herzen wusste er, dass dem nicht so sein würde.
Einunddreißigstes Kapitel
Kier hatte vor über sechs Monaten das letzte Mal mit seinem Sohn gesprochen. Damals hatte Jimmy ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass Sara Krebs habe. Kier hatte nicht sonderlich einfühlsam reagiert – weniger, weil es ihm gleichgültig war, als vielmehr, weil es ihn erschüttert hatte. Jimmy war nicht gerade erfreut über seine Reaktion gewesen. Die letzten Worte, die er an seinen Vater gerichtet hatte, bevor er den Hörer aufknallte, hallten noch immer in Kier nach: »Du solltest derjenige sein, der stirbt.«
Kiers Maschine landete gegen zwei Uhr nachmittags auf dem Logan International Airport. Er mietete sich in einem nahe gelegenen Hotel ein und nahm dann ein Taxi zum Massachusetts College of Art and Design. Dort ging er zur Zimmerverwaltung und fragte nach der Zimmernummer seines Sohnes.
Als er an die Tür klopfte, sagte ihm ein vorbeigehender Student, dass Jimmy noch im Unterricht sei, aber vermutlich bald zurückkommen werde. Kier setzte sich ins Foyer des Studentenwohnheims und wartete dort über eine Stunde.
Jimmy erschien gegen fünf. Über eine Schulter hatte er sich einen Rucksack gehängt. Er erstarrte, als er seinen Vater sah, und wirkte eher verärgert als überrascht.
»Was tust du denn hier?«
»Ich bin gekommen, um dich zu besuchen«, antwortete Kier ruhig.
Jimmy lief an ihm vorbei. »Hätt’s ein Anruf nicht auch getan?«
Kier stand auf und folgte ihm über den Flur. Jimmy schloss die Tür zu seinem Zimmer auf und ging hinein. Kier trat unaufgefordert ein.
»Ich hatte gehofft, dass ich dich vielleicht zum Essen einladen könnte.«
Jimmy leerte seinen Rucksack. »Ich treffe mich heute Abend mit meiner Studiengruppe. Ich habe morgen eine Prüfung.«
»Du musst etwas essen.«
Er blickte zu seinem Vater auf. »Wir haben seit Monaten nicht mehr miteinander gesprochen. Was hast du erwartet?«
»Ich dachte …« Kier hielt inne und korrigierte sich. »Ich habe gehofft, dass du mir vielleicht eine Chance gibst, wenn ich hier herfliege.«
»Eine Chance wozu?«
»Mich zu entschuldigen. Und die Dinge zwischen uns in Ordnung zu bringen. Oder zumindest damit anzufangen.«
Jimmy senkte für einen Moment den Blick. »Hör mal, ich weiß es zu schätzen, dass du dir die Zeit genommen hast vorbeizukommen. Aber was mich angeht, gibt es keine Beziehung zwischen uns, und es wird sie auch nie geben.«
Kier runzelte die Stirn. »Es tut mir leid, das zu hören.« Er atmete tief durch und schaute sich in dem Raum um. Das Bett war nicht gemacht, und in einer Ecke lag ein Haufen schmutziger Wäsche. An der Wand lehnte eine Zeichenmappe. »Das ist nicht schlecht.«
Jimmy schob die Hände in die Taschen, sichtlich verärgert, weil sein Vater nicht ging.
Kier betrachtete ein Ölgemälde, das über Jimmys Schreibtisch hing. »Ist das Juliet?«
»Ja.«
»Es ist schön. Das Mädchen und das Porträt. Du bist sehr begabt.«
»Das ist das erste Mal, dass du etwas über meine Malerei gesagt hast. Oder über meine Freundin.«
»Jimmy, ich habe viele Dinge getan oder nicht getan, auf die ich nicht stolz bin. Aber wie auch immer, es hört sich an, als hättest du deine Entscheidung getroffen. Daher werde ich wieder abreisen.«
»Hast du hier keine Geschäfte zu erledigen?«
»Nein, ich bin nur hier, um dich zu besuchen. Aber du hast Recht. Ich hätte vorher anrufen sollen.« Kier sah seinem Sohn in die Augen.
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