Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
dachte an Thomas’ Vorschlag, ihre Lyrik in
Prosa umzuwandeln. Und sie bemerkte, daß sogar während des Vorlesens der Verse
ein anderer Teil ihres Gehirns Sätze formulierte, so daß sie in Panik geriet,
als hätte sie den Faden verloren, wenn sie durch ein vereinzeltes Wort aus
ihrer Träumerei gerissen wurde.
Der Applaus war der eines Publikums, das aufgrund der Aussicht, bald
ins Bett oder zum Abendessen zu gehen, entsprechend nachsichtig geworden war.
Es folgten Fragen, deren eine der übellaunigen Klage jener Frau seltsam
ähnelte, die es für geschmacklos hielt, das Leben eines anderen zu Kunstzwecken
auszubeuten (warum das so schlimm sein sollte, konnte Linda nicht begreifen, da
es doch nicht um das Leben der Fragenstellerin ging). Die Zahl der Leute im
Foyer, die Lindas Bücher kaufen wollten, lag gerade mal bei zwanzig, aber sie
war sogar für die zwanzig dankbar. Sie schaffte es, länger zu bleiben, als sie
vielleicht geblieben wäre, wenn sie nicht insgeheim auf Thomas und das
Abendessen spekuliert hätte, das sie sich ihrer beider Meinung nach schuldeten.
Aber sie blieb nicht so lange, um sich blöd vorkommen zu müssen, wenn er
endlich auftauchte. Als sie das Theater verließ, trat sie in die Nacht hinaus.
Ein weißer Streifen am Himmel, tiefhängende Wolken, die die Lichter der Stadt
widerspiegelten, ließ sie innehalten.
›Wasser wie Seide‹, dachte sie. ›Zertretener Halm.‹
Es war tröstlich, sich vorzustellen, daß das Schlimmste vorbei
war. Sie war siebenundzwanzig und mit einer Flutwelle hoch hinauf an den Strand
gespült worden, um in der Sonne zu verdorren oder von einer anderen,
schwächeren Welle wieder fortgetragen zu werden. Sie war in Cambridge
gestrandet, wo sie unablässig durch die Straßen wanderte, ihr Körper nur Arme
und Beine in den Blusen und Röcken, und ein Minirock war in dieser Saison und
in diesem Jahr nicht außergewöhnlicher als ein Dashiki oder eine
Bell-Bottom-Hose. Außergewöhnlich war ihr Haar: wild, ungebändigt und ohne
Schnitt, obwohl damals keine bestimmte Frisur Mode war. In Afrika hatte es
zahllose Farbtöne angenommen, so daß es jetzt in einem Spektrum von Mahagoni
bis gebleichte Föhre schimmerte. Vom Herumwandern, und weil sie sich nicht groß
mit Essen aufhielt, war sie auch schlank und drahtig geworden. Sie bewegte sich
völlig frei, sei es bei Regen oder Sonnenschein, wie sie es früher nicht
gekannt und auch nicht gewollt hatte. Jeden Morgen zog sie ihre Sandalen an,
befühlte ihr goldenes Kreuz und bereitete sich auf einen weiteren Tag voller
Schuldgefühle und Gegenanklagen vor, ohne den Wunsch zu haben, das Ereignis
auszulöschen, das ihr diese Last aufgebürdet hatte. Manchmal lehnte sie sich
erschöpft gegen eine Wand, preßte den Kopf gegen die kühlen Steine und rang
nach Atem, erneut von der Schwere des Verlusts getroffen, und der Schmerz war
so stechend, als wäre alles erst am Tag zuvor passiert.
Sie kannte die Stadt nicht, wie man es von ihr erwartet hätte. Sie
lebte nicht, wie es erwartet wurde. Erwartet wurden ausgiebige Spaziergänge
unter den Platanen, ohne zu vergessen, daß dies geheiligter Boden war. Erwartet
wurden Gespräche, die bis tief in die Nacht hinein dauerten und unter den
wachsamen Augen bleicher Gelehrter und ärgerlicher Pedanten stattfanden. Ohne
berechtigten Anspruch darauf zu haben, kehrte sie in trübselige Räume zurück,
wo ein Bett stand, dessen Anblick sie kaum ertragen konnte. Für sie war
Cambridge Erinnerung daran, daß schäbige Küsse hinter einer Bürotür einst in
den Status eines Sakraments erhoben worden waren (für sie, die jetzt
exkommuniziert war); oder es war das herbe Vergnügen eines Sonnenuntergangs,
der die Ziegel und Steine der Stadt und selbst die Gesichter auf den Straßen
(jene rechtmäßigen Gelehrten) mit einem rosig zarten Schimmer überzog, der die
Farbe der Liebe selbst zu sein schien. Cambridge bedeutete, in der Badewanne
eines gemieteten Appartements zu sitzen und sich Schnitte an den Handgelenken
beizubringen, Schnitte, die sofort bereut wurden, wegen des Wirbels, die sie in
der Notaufnahme verursachten. (Und die demütigend waren, da sie nur eine von so
vielen war, die dazu Zuflucht nehmen mußten.) Die Röcke hingen ihr an den
Hüften herunter wie Wäsche an der Leine, und im September, wenn es kalt wurde,
trug sie kniehohe Stiefel, die furchtbar unbequem aussahen, es aber nicht
waren.
Sie wohnte in der Fairfield Street, in einer Reihe von Räumen, wo in
der Küche eine
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