Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
ordentliches Paket frischer Bettwäsche aus der
Belmont-Wäscherei, das monatelang ungeöffnet auf einem Stuhl in ihrem
Schlafzimmer gelegen hatte. Jedes Bild führte zum nächsten, als hingen sie an
einem feinen Faden, einem unsichtbaren Faden, dessen Knoten sowohl beweglich
wie labyrinthisch waren. Die Bilder waren manchmal verstörend und zuweilen
angenehm, Zeugnisse eines gelebten Lebens, wenn auch einige Erinnerungen nur
von Dummheit und entsetzlicher Naivität zeugten.
Aber dann, fast unmerklich, schlich sich ein ungebetenes und
unerwünschtes Bild zwischen die andern, und sofort versuchte sie, es
abzuwehren. Sie spürte, daß es sie hinabzog, aber sie konnte sich nicht gleich
losreißen. Sie hörte ein gedämpftes Geräusch – ein Wort? Nein, eher ein Keuchen
oder ein Flüstern, der Mund eines Mannes preßte sich auf ihr Schlüsselbein,
sein Gewicht lastete schwer auf ihrem Schenkel. Hatte er sich verletzt, oder
war dies (wahrscheinlich) ein weiterer Ausdruck der neuen Sprache, die er sie
lehrte, jener seltsame Dialekt, der ohne Vokabeln und Sätze auskam, aber dennoch
voller Bedeutung zu sein schien – voller Bedürfnis, stummen Flehens und
stiller, sogar außergewöhnlicher Dankbarkeit?
Ihr blaßblaues Kleid fühlte sich trocken an auf ihrer Haut und glitt
wie Seidenpapier über die Höhlung ihres Bauchs. Die Sonne schien auf die
Bettcouch und auf ihr Gesicht. Es war etwa zehn oder halb elf Uhr morgens.
Seine Bartstoppeln waren nicht weich, sondern stachlig wie der Pelz
der Disteln, die auf dem leeren Grundstück am Ende der Straße wuchsen. Nach dem
ersten Mal, als sie sich, wie von Mittagssonne benommen, im Spiegel
betrachtete, hatte sie gesehen, daß sein Bart die zarte Haut an ihrem
Schlüsselbein rot gescheuert hatte; und diese Wundheit, zusammen mit der
anderen, hatte sie den ganzen Tag und den Tag danach an die schreckliche Sache
erinnert, die ihr widerfahren war. Aber sie hatte keine Angst, weder vor dem
Mann, der zwar nicht ganz bedeutungslos erschien, aber auch ihre Gedanken nicht
beherrschte, noch vor dem Ereignis selbst, das sie viermal hatte geschehen
lassen. Denn etwas in ihr sehnte sich nach dieser ungewöhnlichen Aufmerksamkeit – freute sich tatsächlich darüber.
Sie hörte ein weiteres Un-Wort, ebenfalls eindeutig in seinem Sinn.
Er wollte an ihre Brust, fummelte jetzt sogar an den Knöpfen ihres Kleids und
schob den Stoff beiseite. Er drückte seinen Mund auf ihre Brust, die jetzt neu
und immer in Veränderung begriffen war. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen,
wollte es auch nicht – seine Augen waren fest zusammengekniffen, der Nacken war
faltig, in den Falten hatte sich Schmutz festgesetzt. Denn was sie beide taten,
wurde am besten heimlich getan, mit weggedrehtem Gesicht und geschlossenen
Augen.
Ihr Körper entspannte sich, sie hatte ein flaues Gefühl im Magen.
Sie war feucht zwischen den Beinen, angeschwollen. Ruckartig zog er sich über
ihren Körper hinauf und kämpfte einen Moment lang mit ihrem Rock. Das Lecken
war wie Blutsaugen, dachte sie, und Bilder von Blutegeln unter Glasglocken
fielen ihr ein, und die Gläser hinterließen kreisrunde Wülste auf dem Rücken
einer Frau. Er schob einen Finger in sie hinein, dann zwei, eiliger jetzt,
sogar irgendwie hektisch. Sie fragte sich, ob es genauso wäre, als striche man
mit dem Finger über die glitschige Innenseite eines Flaschenhalses. Ein
Fingernagel grub sich in ihre Haut, sie zuckte zusammen, aber er schien es
nicht zu bemerken. Und jetzt war es nicht sein Finger, sondern das andere Ding
(sie hatte das Wort nie ausgesprochen), und sie wußte, daß es bald vorbei wäre.
Sie reckte den Kopf, so daß sie durch das Fenster auf das Kopfende
der Schlafcouch sehen konnte. Ein großer Vogel saß bewegungslos auf dem Dach
des Nebenhauses. Der Mann beendete die Sache wie immer mit konvulsivischem
Zittern und einem leichten Schluckauf. Und als er sich zurückzog, spürte sie
ein wenig Nässe aus sich herausrinnen, ein kleines feuchtes Rinnsal auf ihrem
Schenkel. Sie beobachtete ihn, als er sich ans Bettende setzte, weiß und einen
erschütterten Ausdruck um die Augen. Er schloß den Reißverschluß seiner Hose
und zog seine Stiefel an.
Sie hatte weder ein zärtliches Wort für ihn, noch verlangte sie nach
einem. Als er aufgestanden war, sagte er nur: ›Sag niemandem, was wir hier
getan haben.‹
Als wollte sie das. Als wollte sie das.
In der Bankreihe begann Linda heftig zu zittern bei der
Erinnerung, die sie jahrelang
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