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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Zögern, wenn
elterliche Tagespläne überdacht und verworfen werden mußten. ›Natürlich kann
ich das. Natürlich werde ich das tun.‹ Wann war die Natur aus dem Gleichgewicht
geraten und hatte die Mutter in die Lage gebracht, das Kind um einen Gefallen
zu bitten? Als es zwanzig war? Zweiundzwanzig?
    »Nur für ein paar Tage«, fügte Linda schnell hinzu, ihre Bitte
einschränkend. »Ich erwarte nicht, daß du deine ganzen Ferien opferst.«
    »Nein, ich würde sehr gern kommen.« Es war Maria hoch anzurechnen,
daß sie begeistert klang. »Den genauen Zeitpunkt machen wir noch ab.«
    Aber Linda entband ihre Tochter von dem Versprechen; sie ließ ihr
die Freiheit, ihr eigenes junges Leben zu führen. »Kommst du überhaupt zum
Schlafen?« fragte die Mutter.
    Die Antwort der Tochter ging im Rauschen der Leitung unter. Linda
rollte zur Seite und zerrte das Telefon vom Nachttisch. Sie zog den Hörer an
der Schnur hoch. Eines Tages würde Maria Herzspezialistin für Kinder sein. Eine
verblüffende Vorstellung. Verblüffend für Linda, die als erste in ihrer Familie
ein College besucht hatte.
    »Ich habe jemanden kennengelernt«, sagte Maria, offensichtlich zum
zweitenmal.
    Einen Augenblick lang war Linda verwirrt, aus Furcht, die Worte
wären ihr selbst entschlüpft.
    »Erzähl mir von ihm.«
    »Er ist Assistenzarzt. Er heißt Bill.«
    Ein Bild formte sich vor Lindas Augen, zweifellos unzutreffend,
zweifellos aus anderen Bills zusammengesetzt, obwohl sie sich im Moment an
keinen einzigen erinnern konnte. »Und du magst ihn«, sagte Linda vorsichtig.
    Wieder ein kurzes Zögern auf Marias Seite, möglicherweise, um der
Sache Nachdruck zu verleihen. »Ja. Er sieht gut aus.«
    »Das spricht für ihn«, sagte Linda, die männliche Schönheit nie
geringgeschätzt hatte.
    »Vielleicht bringe ich ihn mit nach Maine.«
    Und Linda dachte: ›Es ist etwas Ernstes.‹
    »Woran hast du dich bei Dad erinnert?« fragte Maria.
    »An seine weißen Hemden. An die Art, wie sie sich um seine Schultern
schmiegten.«
    Die Tochter erwiderte nichts angesichts einer Erinnerung, die zu
intim war, als daß ein Kind sie hätte teilen können. »Sind auf dem Festival
Leute, die du kennst?« fragte sie statt dessen.
    »Inzwischen schon«, sagte Linda, die nicht bedauernswert erscheinen
wollte.
    »Gut«, sagte Maria leichthin. »Ich muß jetzt Schluß machen. Wenn ich
die Laborberichte bis sechs nicht fertig habe, bringt mich der Assistenzarzt
um.«
    Linda bezweifelte es und dachte, daß ein Opfer, das von jemandem gefordert
wurde, der Arzt werden wollte, atavistisch war. Fehler wurden aus Schlafmangel
begangen. In einem Tränenausbruch hatte Maria eines Tages den ihren gestanden.
    Linda legte auf, verwirrt über die Mischung aus Wahrheit und Lüge im
Gespräch mit dem eigenen Kind. Mehr Lügen als Wahrheit diesmal, obwohl es oft
so war. Man konnte ein Kind nicht auf die Zukunft vorbereiten; derlei
Einsichten wären unerträglich.
    Es herrschte vollkommene Stille im Raum. Selbst die Klimaanlage
hatte zu summen aufgehört. Es war, als stünde plötzlich der Verkehr still, als
wären alle Radios verstummt. Wie spät war es? Fast vier? Sie stellte sich vor,
wie Menschen zu Ehren eines großen Helden die Straßen der Stadt säumten.
    Sie ging in den Sonnenschein hinaus, nur um sich davor zurückzuziehen.
In dieser nördlichen Stadt, hatte man ihr gesagt, gebe es Geschäfte, die sie
aufsuchen sollte (der Wechselkurs war gut), aber als sie das berühmte Kaufhaus
betrat, bedrückte sie der Anblick von Leuten, die Dinge kauften, die sie
glücklicher, schlanker oder dem Tod gegenüber unempfindlicher machen sollten.
Sie befühlte einen Seidenschal, strich über die Schulterpolster von Kostümen,
die, zum Beweis für erste Qualität, besonders akkurat und in bestimmen
Abständen voneinander aufgehängt waren. Sie bewunderte ein Negligé und
erinnerte sich an Nächte mit anderen Negligés, und dennoch ließ sich die Wolke
der Traurigkeit nicht vertreiben. Sie fuhr mit der Rolltreppe hinauf, höher und
höher, und zog das Vorbeigleiten an den Stockwerken dem mühelosen Hinaufschweben
im Fahrstuhl vor. Sie sah einen zitronengelben Pullover mit zarter Borte in der
Kinderabteilung und versuchte sich zu erinnern, ob sie jemanden mit einem Baby
kannte, und dann fiel ihr ein, daß dies jetzt ein Enkelkind sein müßte. Sie
stand vor dem Eingang eines Cafés, heißhungrig und ungeduldig, an einen Platz
geführt zu werden, aber als man sie an ihren Tisch gebracht

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