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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Ndegwa und sie waren einander zwar nie offiziell
vorgestellt worden, aber sie teilten ein Stück gemeinsamer Geschichte und
verbrachten nun ein nostalgisches Abendessen zusammen. Linda genoß die
erinnerungsträchtigen Rhythmen des Kikuyu-Akzents sogar dann, als sie über die
Freilassung von Marys Mann aus dem Gefängnis sprachen, über das Verbot ihrer
Arbeit in Kenia, über die entsetzlichen Nachwehen der Wahlen 1997 und die
grauenvolle Bombardierung der amerikanischen Botschaft. Kenia sei gefährlicher
geworden, sagte Mary Ndegwa, und obwohl sich Linda lieber an die schimmernden
grünen Teeplantagen im Hochland und an die weißen Dhaus von Lamu erinnerte,
konnte sie sich genauso an die Askaris, die grau uniformierten Polizisten mit
ihren Macheten und die kümmerlichen, aus Pappkarton bestehenden
Elendssiedlungen von Nairobi erinnern.
    »Sie müssen wiederkommen«, sagte Mary Ndegwa. »Sie sind zu lange
fortgeblieben.« Die Afrikanerin lachte plötzlich und versteckte ihre Zahnlücke
hinter der Hand. Wie immer fand Mary Ndegwa die Amerikaner schrecklich komisch.
    Während des Abendessens bemerkte Linda, daß sich Seizek auf Distanz
hielt, was sie ungemein freute. Der Australier lächelte zweimal in ihre
Richtung, nachdem die Verschwörung sie einander nähergebracht hatte und sie
jetzt mehr als bloße Bekannte waren. Es gab einen Moment während des endlos
langen Abendessens (das ihr Schmerzen in den Beinen verursachte, weil sie es
nicht gewohnt war, im Schneidersitz auf dem Boden zu sitzen), als sie darüber
nachdachte, daß sie für eine kurze Affäre zu haben gewesen wäre und vielleicht
mit dem cowboyhaften Schriftsteller eine hätte haben können. Aber kurze Affären
hatten sie nie interessiert (zu wenig Investition, trotz des momentanen
Profits; und es war doch schließlich die Investition, die zählte, oder?), und
dann dachte sie über den Begriff zu haben und dessen
Bedeutung nach: War sie wirklich nicht zu haben? Und wenn nicht, an wen oder
was war sie gebunden? An die Erinnerung an Vincent? An die Geschichte mit
Thomas? An sich selbst, als die ausschließliche Besitzerin ihres Körpers?
    Auf der Rückfahrt machte der Bus mehrmals halt, und nur sie und ein älterer
kanadischer Biograph stiegen am Hotel aus, wobei Linda (beschämenderweise)
leichtes Unbehagen empfand bei dem Gedanken, mit dem älteren Mann aussteigen zu
müssen. Vielleicht hüpfte sie deshalb etwas beschwingter aus dem Bus, als es
angebracht war.
    Er saß in einem Sessel gegenüber vom Eingang, als sie durch die
Drehtür kam. Er stand auf, und sie sahen sich eine peinliche Sekunde lang an,
während deren sie sich leicht hätten umarmen können. Aber nachdem sie den
entscheidenden Moment verpaßt hatten, konnten sie es nicht mehr nachholen.
Hinter ihnen kamen beständig Paare in Abendkleidung durch die Drehtür.
    »Ich weiß, es ist vielleicht ungehörig«, sagte Thomas. »Aber hättest
du Lust auf einen Drink?«
    »Ja«, sagte sie einfach. »Große sogar.«
    Das Mahagoni glänzte, ohne Fingerabdrücke darauf. Linda registrierte
weiße Stoffservietten, die auf einem Regal aufgestapelt waren. Der Barmann war
ein Profi mit routinierten Bewegungen, fließend wie die eines Tänzers. Er mixte
einen funkelnden Martini, der ihr wie ein Geschenk erschien, das sie durch
Auspacken nicht kaputtmachen wollte. Flüchtig erwog sie, einen Scotch zu
bestellen, der alten Zeiten wegen, aber sie wußte, daß sie das starke Zeug
nicht mehr vertrug. Während sie so dasaß, sann sie darüber nach, daß sie es vor
Jahren wie Orangensaft runtergekippt hatte. (Ihre ganze Trinkerei sah sie jetzt
unter dem Aspekt …) Die Männer an der Bar hatten sie taxiert, als sie mit
Thomas eintrat, aber sie fragte sich, ob ihre Blicke tatsächlich ihr galten.
War es nicht Thomas, der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte? (Den Männern wäre
nicht einmal bewußt gewesen, daß sie aufgeblickt hatten, so sehr war ihnen das
Bedürfnis zu schauen in Fleisch und Blut übergegangen.)
    »Du hast dir die Haare schneiden lassen«, sagte sie und sah ihn
ebenfalls abschätzend an.
    Er strich sich über die kurzen grauen Stoppeln, als fühlte sich sein
ganzer Kopf ungewohnt an.
    »Es ist hübsch«, sagte sie. »Nicht einmal in der High-School hattest
du einen Bürstenschnitt.«
    »Ich dachte, ich würde dir damit besser gefallen«, sagte er
unumwunden.
    »Du möchtest mir gefallen?« Sie wagte es, ein bißchen zu flirten.
    »Ja, tatsächlich.«
    Sie stießen miteinander an, wie es sich

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