Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
ermutigt) von der öden und allzu selbstbekenntnishaften Arbeit der
anderen. Dadurch bestärkt, schickte sie ihre ersten Beiträge an kleine
Literaturzeitschriften, die in den ersten Monaten alle ihre Arbeiten ablehnten
(einmal erreichte sie aus Versehen ein Brief, der an jemand anders gerichtet
war, so daß sie scherzend behaupten konnte, man lehne bereits Gedichte ab, die
sie gar nicht geschrieben habe). Um das Gefühl des Versagens abzuwehren, sagte
sie, sie könne ihr Bad tapezieren mit den Ablehnungsschreiben, die sie
allerdings nicht als Aufforderung zum Aufhören ansah, sondern als Einstieg zum
Erfolg. Bis eines Nachmittags ein Brief von einem Redakteur eintraf, dem ein
Gedicht gefiel, das er veröffentlichen wollte. Er könne ihr zwar nichts zahlen,
fügte er hinzu, aber er hoffe, sie erweise ihm die Ehre, der erste zu sein, der
dieses Gedicht abdrucke. Weit entfernt, sich von der fehlenden Bezahlung stören
zu lassen, war Linda so begeistert, daß sie kein Wort herausbrachte; und als
Vincent an diesem Abend nach Hause kam, hielt sie den Brief noch immer an die
Brust gedrückt. Monate später, als ein Gedicht von einer Zeitung angenommen
wurde, die ein Honorar zahlte, feierten Linda und Vincent dies bei einem Essen,
und Vincent sagte, der Scheck des Magazins reiche gerade für die Cocktails.
Danach strömten die Gedichte aus ihr heraus und überfluteten das
Schlafzimmer, in dem sie schrieb. Es war, als wäre ihr Inneres verriegelt
gewesen, als müßten jahrelang angestaute Gedichte sich den Weg nach draußen
bahnen. Ihre Dichtung wurde mit einiger Regelmäßigkeit publiziert (die
Auflistung früherer Publikationen hatte einen positiven Effekt), und als Maria
zwölf war, schrieb jener erste Redakteur, mit dem sie freundschaftlich
korrespondierte, er wechsle zu einem Verlag in New York und bitte sie, ihm zu
erlauben, einen Band mit ihren Gedichten zu verlegen.
»Du hast es geschafft«, sagte Vincent, als sie ihn bei der Arbeit
anrief und davon berichtete.
»Ich glaube, ich habe gerade erst angefangen«, sagte sie.
An all das erinnerte sie sich, als sie die Hoteltreppe
hinunterging. Sie öffnete die Tür zum Treppenhaus (das nach Zigarettenrauch
stank; Zimmermädchen, die hier ihre Pause verbrachten?) und war sich nicht
sicher, welche Nummer Thomas’ Zimmer hatte. Sie glaubte, es sei im siebten
Stock, hatte Thomas 736 gesagt? Aber vielleicht verwechselte sie die Nummer mit
einem Hotelzimmer, das sie selbst einmal gehabt hatte? Sie konnte natürlich
einfach in ihr Zimmer zurückgehen und anrufen. Nein, das würde nicht genügen.
Sie wollte Thomas sehen, wenn sie mit ihm sprach. Sie klopfte bei 736 an, ein
beherztes Klopfen, obwohl sie sich auf einen verwirrten, halbbekleideten
Geschäftsmann gefaßt machte, der öffnete, um dem Zimmermädchen zu sagen, daß er
keine Dienste benötige. Eine große Frau in hochhackigen Schuhen und mit einer
Perlenkette um den Hals ging im Flur an ihr vorbei und wich ihrem Blick aus:
Wirkte Linda wie eine Frau, die von ihrem zornigen Ehemann ausgesperrt worden
war? Linda klopfte erneut, aber noch immer antwortete niemand. Sie kramte in
ihrer Tasche und fand einen winzigen Block und einen Stift. Diese Botschaften,
dachte sie, als sie schrieb – welch alte Gewohnheiten, welche Erinnerungen. Und
dennoch könnte Thomas, der keine Nachricht erwartete, vielleicht einfach auf
den Zettel treten, der unter seiner Tür durchgeschoben worden war?
»Mein Sohn ist Alkoholiker«, schrieb sie. »Und was ist die
Vorgeschichte dafür?«
Wieder ließ sie sich mit der Herde in den Bus drängen und bei
einem Restaurant absetzen – diesmal bei einem japanischen, die einzige Art von
Essen, für die sie sich nicht interessierte, da sie nie Geschmack an Sushi oder
Gemüse im Teigmantel gefunden hatte. Dennoch, auswärts zu essen war besser, als
im Hotelzimmer zu bleiben und der Versuchung widerstehen zu müssen, entweder
Marcus oder Thomas anzurufen, obwohl sie außerordentlich neugierig war, wo die
beiden sich gerade befanden. War Marcus bereits nach Brattleboro gegangen? War
Thomas nach Hause gefahren? Sie wollte Mary Ndegwa fragen, mit der sie zusammen
zu Abend aß, ob sie wisse, was Thomas während der Podiumsdiskussion getan habe,
um das Publikum so zu empören, das sich ihrer Meinung nach durch nichts mehr
empören ließ. Aber sie hatte Bedenken, daß eine solche Frage ein Gespräch über
Thomas’ Vergangenheit heraufbeschwören könnte, über die sie im Moment nicht
sprechen wollte. Mary
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