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Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)

Titel: Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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gegenüber, glaube ich – daher bin ich in
meinem verbeulten Escort, der schon zweimal gestohlen wurde, nach Nairobi
gefahren, habe mich im Thorn Tree an einen Tisch gesetzt und ein Tusker ohne
Wurm bestellt (das ist eine lange Geschichte). Aus dem Raum, der wahrscheinlich
die Küche ist, dringt ein seltsamer weißer Rauch, und ich sollte ihn
wahrscheinlich genausowenig beachten wie alle anderen auch (obwohl er so
aussieht, als könnte er uns vergiften). Noch nie hing eine Nachricht für mich
am Schwarzen Brett, aber verrückterweise habe ich heute nachgesehen, für den
Fall, Du hättest mir eine verschlüsselte Botschaft zukommen lassen. (Hinterlaß
mir eine, wenn Du das nächste Mal in Nairobi bist, nur um mich aufzuheitern;
doch solltest Du in die Stadt kommen, ohne mir Bescheid zu sagen, werde ich
bestimmt an gebrochenem Herzen sterben.)
    Letzten Sonntag saß ich mit Ndegwa in diesem Café. (Ohne zu wissen,
daß Du im Land bist. Wie war das möglich: Waren denn keine Wunder und Zeichen
am Himmel, gab es keine hörbaren Erschütterungen, die ich als Deine Schritte
erkannt hätte?) Heute ging ich wegen Ndegwa zur amerikanischen Botschaft und
bekam einen Termin bei einem Botschaftsvertreter – wofür er zuständig ist,
wurde nie erklärt. Er sah – ich scheue mich, es zu sagen, weil es ein solches
Klischee ist – wie ein in die Jahre gekommener Soldat der Marines aus. Die
Stoppeln auf seinem Kopf waren so kurz, daß mehr Haut als Haar zu sehen war. Er
war gutmütig und herzlich und freute sich, mich zu sehen, obwohl er anfangs
keine Ahnung hatte, warum ich gekommen war. Aber joviale Begrüßungen machen
mich mißtrauisch. Er sagte – ungelogen – »Woher stammen Sie, Tom?« Ich sagte:
»Boston.« Er sagte: »Hey, Red Socks!« Also diskutierten wir über die Red Socks,
über die ich weniger wußte, als ich hätte wissen sollen, und ich hatte den
Eindruck, daß es sich um eine Art Test handelte, den ich nicht bestand. Mein
Botschaftsvertreter wurde mißtrauisch, und plötzlich schien ihm mein
außerordentlich langes Haar aufzufallen (›Hippie‹, dachte er), und er sagte
schließlich: »Also, was kann ich für Sie tun?« und »Was haben Sie auf dem
Herzen, Tom?« Zwar beschäftigst nur Du mich – wie jetzt ständig –, doch
trotzdem erzählte ich ihm von meinem Auftrag, über den ich schon beim Weggehen
von zu Hause nur nebulöse Vorstellungen hatte und der mir, da ich nun davon
erzählte, sogar noch verschwommener vorkam. Ich wolle helfen, Ndegwa
freizubekommen, sagte ich. Falls das nicht möglich sei, wolle ich Druck auf die
kenianische Regierung ausüben, damit sie die Anklagepunkte bekannt gebe und
einen Prozeßtermin festsetze. Meine Forderung war offenbar absurd und
hoffnungslos, jedenfalls faßte er sie so auf und lächelte nachsichtig. »Tom«, sagte
er, schob seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück und faltete die Hände im Schoß,
»das ist ein sensibler Punkt«, und »Sie wissen, Tom, daß die USA einen strategischen Stützpunkt in Kenia hat«, und
»ich würde ja genausogern helfen wie Sie, Tom, aber diese Dinge brauchen Zeit.«
Ich kam mir vor wie ein Kind, das seinen Vater um Geld anbettelt.
    Nachdem er mich freundlich in meine Schranken verwiesen hatte,
fragte er mich, was ich hier mache. Ich verstellte mich ein bißchen, erwähnte
Regina und gestand schließlich, Schriftsteller zu sein. »Für wen schreiben
Sie?« fragte er. Eine verständliche Frage. »Für niemanden«, antwortete ich und
sah, daß er mir nicht glaubte. Wer schrieb schließlich für niemanden? Ganz
beiläufig erwähnte er, daß demnächst Ted Kennedy das Land besuche und daß er
(mein Botschaftsvertreter) zu Ehren des Senators einen Empfang ausrichte.
Woraufhin ich – die erste politische Erklärung meines Lebens abgebend,
tatsächlich den ersten politischen Gedanken meines
Lebens äußernd – herausplatzte: »Ich kenne Ted Kennedy.« Womit ich endlich die
Aufmerksamkeit des Burschen gewonnen hatte. »Eigentlich«, fügte ich hinzu,
»kennt ihn mein Vater. Er war einmal beim Abendessen bei uns.«
    »Wirklich«, staunte mein Botschaftsvertreter.
    Und daher wird man sich des »Ndegwa-Falls«, wie er ihn nannte,
vielleicht doch annehmen.
    Schreib mir, um Himmels willen, schreib. Ein Tag ohne Dich ist
ein nicht gelebter Tag, den ich nur ertrage, weil ich die Erinnerung aufbiete,
aber die ist selbst geringsten Korrosionserscheinungen gegenüber anfällig, und
feiner Rost durchzieht die leichten Brisen.
    Liebe mich so, wie Du es

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