Der weiße Klang der Wellen: Roman (German Edition)
bewundere; und ich
verabscheue, was mit ihm geschehen ist. Ich habe keine Ahnung, was ich in
dieser Arena überhaupt zu suchen habe. Es kommt mir vor, als hätte ich diesen
Fall übernommen, wie jemand die neueste Mode trägt, und die Tatsache, daß
Fortschritte nur mit Gala-Empfängen erzielt werden, verstärkt diese unbequeme
Einsicht nur noch. Genauer gesagt, Regina hat Angst, daß sie aufgrund meines
Engagements ebenfalls des Landes verwiesen wird oder daß ihr irgendein
Machtbefugter das Stipendium streicht. (In einem Land ohne Präzedenzfälle, in
dem obendrein eine gewisse Gesetzlosigkeit herrscht, muß man auf alles gefaßt
sein.) Ndegwa, der in einem unterirdischen Gefängnis schmachtet, weil er
marxistische Gedichte im Kikuju-Dialekt geschrieben hat, riskiert sein Leben
(politische Gefangene werden nicht gut behandelt, und selbst »gute« Behandlung
in einem kenianischen Gefängnis wäre ein Erlebnis, das weder Du noch ich
unbeschadet überstehen würden). Ich hoffe, wir wissen, was wir tun.
Mein Marine bei der Botschaft riskiert natürlich gar nichts.
Kennedy trifft am 5. ein. Mein Marine ist schon ganz aus dem
Häuschen. Am gleichen Nachmittag wird ein besonderer Empfang stattfinden und am
Abend die Veranstaltung, deren Erlös wohltätigen Zwecken zukommt. Danach geht
Kennedy auf Safari (was der Zweck seiner Reise sein dürfte). Am nächsten Morgen
gewährt ihm Mary Ndegwa eine Audienz (oder ist es umgekehrt?), ich werde dabei
im Hintergrund bleiben und versuchen, aufmerksam und nützlich zu sein, aber die
ganze Zeit nur an Dich denken.
Amnesty International hat mir geschrieben. Sie haben, wie ich schon
vermutete, bereits formell Beschwerde eingelegt.
Ich würde eines Tages gern etwas über Ndegwas Mut schreiben. Habe
ich Dir gesagt, daß wir am gleichen Tag im gleichen Jahr geboren sind,
dreizehntausend Kilometer voneinander entfernt? Sich vorzustellen, daß ich von
den sterilen Händen des Arztes meiner Mutter geholt wurde, während Ndegwa auf
einer Sisalmatte in einer Lehmhütte mit Hilfe der ersten Frau seines Vaters zur
Welt kam. Als ich Ndegwa kennenlernte, sah ich uns beide als zwei parallele
Linien, die in Nairobi zusammenliefen. Er wuchs während des Mau-Mau-Aufstands
auf und kam wegen der Unruhen dieser Zeit erst mit zehn Jahren in die Schule.
Als Kind wurde er gezwungen, der Exekution seines Vaters vor einem Grab
beizuwohnen, das dieser selbst hatte schaufeln müssen. Als wir uns kennenlernten,
hatte er mich, was Schulbildung anbelangt, eingeholt, tatsächlich weit
übertroffen. An der Universität habe ich auf dem Gebiet der reinen
Literaturwissenschaft eine Menge von ihm gelernt, was ich nicht erwartet hatte.
Ich würde gern ein Porträt über ihn schreiben, das den Gegensatz zwischen
seiner Vergangenheit als Schafhirt und seiner jetzigen Stellung an der
Universität herausarbeitet: seine Rechtsstreitigkeiten, um den Brautpreis,
bestehend aus Schafen und Ziegen, an seinen Schwiegervater zu umgehen; seine
Angewohnheit, wenn auch im geheimen, Polygamie zu betreiben, seine Behauptung,
Frauentausch sei ein altehrwürdiger Kikuju-Brauch, und seine durchgängige
Malaise hinsichtlich der Risiken und Verluste, die daher rühren, daß er im
Eiltempo durch die Geschichte reist.
Doch ich weiß, daß ich nicht das Zeug dazu habe, dieses Porträt zu
schreiben. Zwischen uns bestand immer eine Barriere, eine Art Unfähigkeit, die
Grenze zwischen unseren Kulturen zu überschreiten, ein Trennungszaun, der mit
Stacheln aus mißverstandenen Symbolen gespickt war, eine breite Kluft, die aus
unterschiedlichen Erfahrungen herrührte. Immer wieder haben wir den gemeinsamen
Weg verloren. Wir schienen es beinahe geschafft zu haben, doch dann gab der
Grund unter uns nach, ließ uns auf zwei verschiedenen Seiten eines Grabens
zurück, so daß wir einander verfehlten.
Schreib sofort. Sag mir, daß Du kommst oder daß ich zu Dir kommen
darf.
Ich liebe Dich. T.
PS : Die heutige Schlagzeile lautet: NAHRUNGSMITTEL UND TREIBSTOFF KNAPP .
24. Februar
Lieber Thomas,
Deinen Brief und die Einladung zur Botschaftsparty habe ich mit
gleicher Post erhalten. Ich habe seitdem kaum an etwas anderes gedacht. Ich
weiß, ich sollte mich an diesem Wochenende von Nairobi fernhalten und statt
dessen nach Turkana oder Tsavo fliehen und versuchen, mich möglichst unsichtbar
zu machen. Aber wie der Zufall oder das Schicksal es wollen, möchte Peter, daß
ich zu diesem Zeitpunkt in die Stadt komme, weil ein alter Schulfreund das
Weitere Kostenlose Bücher