Der weiße Reiter
zufriedengeben.»
«Also gut.» Er wünschte uns eine gute Nacht und begab sich auf sein hartes Lager.
Die Feuer im Tal erloschen. «Warum habt Ihr dem König nicht die Wahrheit über Æthelwold gesagt?», fragte ich Pyrlig.
«Ich habe lieber Eurem Urteil vertraut», antwortete er.
«Ihr seid ein guter Mann.»
«Ja, das wundert mich auch selbst immer wieder.»
Ich ging zu Iseult und legte mich schlafen.
Am nächsten Morgen hing der Himmel im Norden voll dunkler Wolken, über unserem Heer und den Hügeln aber strahlte die Sonne.
Die westsächsische Armee, inzwischen fast dreieinhalbtausend Mann stark, zog flussaufwärts und folgte dann dem kleineren Wasserlauf,
den Pyrlig und ich am Abend |444| zuvor erkundet hatten. Auf den Hügeln zeigten sich dänische Kundschafter, die, wie wir wussten, Boten zu Guthrum zurückschicken
würden.
Ich führte fünfzig Männer auf einen dieser Hügel. Wir waren alle zu Pferde, mit Waffen, Schilden und Helmen bereit zum Kampf,
doch die Dänen wichen uns aus und waren längst verschwunden, als wir die Hügelkuppe erreichten, wo ein großer Schwarm blauer
Schmetterlinge in der Frühlingsluft schaukelte. Ich blickte nach Norden in die Richtung der bedrohlich dunklen Wolken und
sah, wie sich ein Sperber vom Himmel herabstürzte, um eine Beute zu packen. Ich folgte seinem rasenden Flug mit den Augen,
und plötzlich sah ich ihn unter seinen ausgestreckten Fängen, unseren Feind.
Guthrums Armee rückte vor.
In diesem Moment überkam mich Furcht. Der Schildwall ist ein schrecklicher Ort. In ihm erringt sich der Kämpfer sein Ansehen,
und das Ansehen ist uns teuer. Das Ansehen bedeutet Ehre, doch um zu dieser Ehre zu kommen, muss ein Mann im Schildwall bestehen,
da, wo der Tod wütet. Ich hatte bei Cynuit in einem Schildwall gekämpft, und ich kannte den Geruch des Todes, seinen Gestank,
die Ungewissheit und die Schrecken von Äxten, Schwertern und Speeren. All das fürchtete ich, und all das kam auf uns zu.
Es kam durch das Tiefland im Norden der Hügel in Gestalt einer Armee, der Großen Armee, wie sie von den Dänen genannt wurde,
den heidnischen Kriegern von Guthrum und Svein, jener wilden Horde wilder Männer aus einem Land jenseits des Meeres.
Sie waren wie ein dunkler Fleck in der Landschaft. Sie zogen durch grüne Felder, Reihe um Reihe von Reitern, und es schien,
als entstiegen sie dem Schattenreich, wie |445| sie langsam ins Licht der Sonne vorrückten. Speerspitzen, Helme und Rüstungen glitzerten, unzählige Male brachen sich die
Sonnenstrahlen und schossen Lichtblitze, denn immer mehr Männer tauchten aus der wolkenverhangenen Zone auf. Fast alle waren
beritten.
«Jesus, Maria und Joseph», sagte Leofric.
Steapa sagte nichts. Er starrte dem Feind nur finster entgegen.
Osric, der Landvogt von Wiltunscir, bekreuzigte sich. «Einer von uns muss Alfred benachrichtigen.»
«Ich reite zurück», bot sich Pater Pyrlig an.
«Sagt ihm, die Heiden haben den Afen überschritten», fuhr Osric fort. «Sagt ihm, sie halten auf …», er unterbrach sich und versuchte, die Richtung zu bestimmen. «Sie halten auf Ethandun zu.»
«Ethandun», Pyrlig wiederholte den Namen.
«Und erinnert ihn daran, dass dort eine Befestigung liegt, die das alte Volk gebaut hat», sagte Osric. Er war in dieser Grafschaft
zu Hause, kannte ihre Hügel und Felder und fragte sich wohl, was geschähe, wenn die Dänen die alte Festung entdeckten und
besetzten. «Gott steh uns bei», sagte Osric. «Sagt dem König, dass sie morgen früh die Hügel erreicht haben werden.»
«Morgen früh, bei Ethandun», sagte Pyrlig und galoppierte davon.
«Wo ist die Festung?», fragte ich.
Oscric streckte die Hand aus. «Man kann sie von hier aus sehen.» Von weitem waren nicht viel mehr als grüne Falten auf einem
fernen Hügel zu erkennen. Es gab überall in Wessex solche Wehranlagen mit breiten Erdwällen, und die bei Ethandun thronte
auf dem Rücken eines Berges, der sich mit abschüssigen Flanken jäh aus dem Flachland erhob und den Rand der Kreideebene von
Wiltunscir bewachte. |446| «Ein paar von den Bastarden werden schon heute Abend dort sein», sagte Osric, «aber die meisten kommen erst morgen früh. Hoffen
wir, dass sie die Festung nicht weiter beachten.»
Wir alle waren davon ausgegangen, dass Alfred den Ort der Schlacht bestimmen würde, ein Gelände, das sich gut verteidigen
ließe und einer Unterzahl Vorteile böte. Doch der Anblick der fernen Festung
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