Der weiße Reiter
aufstellen
lassen, aber weil kein Wind wehte, hingen sie schlaff herab. Alfred, der unter seinem abgetragenen blauen Umhang ein Kettenhemd
trug, trat zwischen die Banner und wies eine Gruppe von Priestern zurück, die ihm folgen wollte. Er stand ganz allein da oben |449| und blickte schweigend auf uns herab. Ich spürte, wie sich Unbehagen in den Reihen breitmachte. Die Männer wollten angefeuert
werden, erwarteten aber stattdessen eine weitere Predigt.
«Morgen!», rief der König plötzlich mit hoher, aber vernehmlicher Stimme. «Morgen werden wir kämpfen. Morgen. Am Festtag des
Apostels Johannes.»
«O Gott», murmelte Leofric. «Jetzt tunkt er uns bis zum Hals in den Pfuhl seiner Heiligen.»
«Der Apostel Johannes war zum Tode verurteilt», sagte Alfred. «Er sollte in Öl gekocht werden, doch er überlebte die Tortur.
Man warf ihn in siedendes Öl, doch er überlebte und stieg gestärkt aus dem Kessel hervor. Wir sollten es ihm gleichtun.» Er
legte eine Pause ein und beobachtete seine Zuhörer. Wir starrten ihn sprachlos an, und er muss gespürt haben, dass uns seine
Lobpreisung des Johannes nicht gefiel, denn plötzlich machte er mit der rechten Hand eine wegwerfende Bewegung, als wolle
er alle Heiligen beiseitewischen. «Und morgen», fuhr er fort, «ist auch ein Tag der Krieger, der Tag, an dem wir unsere Feinde
töten, der Tag, an dem die Heiden bitterlich bereuen werden, ihren Fuß je auf den Boden von Wessex gesetzt zu haben.»
Jetzt waren erste Laute der Zustimmung zu vernehmen.
«Das ist unser Land! Wir kämpfen um unsere Heimat! Für unsere Frauen! Für unsere Kinder! Wir kämpfen für Wessex!»
«Ja, das tun wir», brüllte jemand.
«Und nicht nur Wessex kämpft!» Alfreds Stimme wurde kräftiger. «Mit uns kämpfen Männer aus Mercien, Northumbrien und Ostanglien.»
Ich kannte niemanden aus Ostanglien, und aus Northumbrien stammten nur Beocca und ich, doch das schien keinen zu stören. «Wir
sind die |450| Männer Englands», rief Alfred, «und wir kämpfen für alle Sachsen.»
Es wurde wieder still. Den Männern gefiel, was sie hörten, doch der Gedanke an England lag ihnen fern. Alfreds Traum von einem
geeinten Königreich war zu groß für die Kämpfer auf dem Feld. «Und warum sind die Dänen hier?», fragte Alfred. «Sie wollen
sich an unseren Frauen vergehen, unsere Kinder zu ihren Knechten machen und in unseren Häusern wohnen. Aber sie kennen uns
nicht!» Diesen letzten Satz zog er in die Länge und betonte dabei jedes einzelne Wort. «Sie kennen unsere Schwerter nicht»,
fuhr er fort, «noch unsere Äxte, unsere Speere und auch nicht unsere Entschlossenheit. Doch morgen lernen sie uns kennen!
Morgen werden wir sie töten und in Stücke hacken. Morgen werden wir sie wimmern lassen und das Schlachtfeld mit ihrem Blut
tränken. Sie werden um Gnade winseln.»
«Aber die gibt es nicht!», brüllte ein Mann.
«Keine Gnade!», rief Alfred, doch ich wusste, dass er es nicht so meinte. Er würde den Dänen immer Gnade gewähren, versuchen,
ihnen Vernunft einzureden und sie zu seinem Gott zu bekehren. Doch immerhin hatte er endlich gelernt, was Krieger hören wollen.
«Morgen», rief er, «kämpft ihr nicht für mich. Ich kämpfe für euch! Ich kämpfe für Wessex! Ich kämpfe für eure Frauen, eure
Kinder und euren Besitz. Morgen werden wir kämpfen, und ich schwöre beim Grab meines Vaters und beim Leben meiner Kinder,
morgen werden wir gewinnen!»
Zugegeben, es war keine große Schlachtrede, aber doch die beste, die Alfred jemals gehalten hatte. Und sie tat ihre Wirkung.
Die Männer johlten und stampften mit den Füßen, und wer seinen Schild dabei hatte, trommelte |451| mit dem Schwert oder Speer darauf herum. Die hereinbrechende Dämmerung war erfüllt von rhythmischen Schlägen und lautem Gebrüll.
«Keine Gnade!», hallte es von den Hügeln wider. «Keine Gnade, keine Gnade.»
Wir waren bereit. Und auch die Dänen waren bereit.
In der Nacht bezogen Wolken den Himmel. Die Sterne verschwanden einer nach dem anderen, und die dünne Mondsichel wurde von
der Dunkelheit verschluckt. An Schlaf war nicht zu denken. Ich saß neben Iseult, die mein Kettenhemd reinigte, während ich
meine beiden Schwerter wetzte. «Ihr werdet siegen», sagte sie leise.
«Hast du das geträumt?»
Sie schüttelte den Kopf. «Seit ich getauft bin, träume ich nicht mehr.»
«Dann hast du es dir so ausgedacht?»
«Ich muss daran glauben», antwortete sie.
Der
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