Der weiße Reiter
stand, die er brüllend einlud, sich mit ihm zu messen. Seine Gefährten waren tot, sein Banner gefallen, doch er
sah in seinem glänzenden Kettenhemd, mit dem zersplitterten Schild und seinem langen Schwert aus wie ein Kriegsgott. Langsam
schlossen die Sachsen den Kreis um ihn. Ich rannte los, schrie, und er drehte sich nach mir um und glaubte wohl, dass ich
kam, um ihn zu töten. Er hob sein Schwert, |503| doch ich stieß es mit meinem Schild weg, warf mich an seine Brust und riss ihn zu Boden.
Steapa und Pyrlig schützten uns. Sie wehrten die Sachsen ab und rieten ihnen, sich andere Opfer zu suchen. Ragnar richtete
sich auf und sah mich erstaunt an. Seine Schildhand war blutig. Eine Klinge hatte sich durch seinen Schild gebohrt und seine
Hand zwischen den Fingern gespalten, sodass es aussah, als hätte er zwei kleine Hände statt einer Männerhand. «Das muss ich
verbinden», sagte ich.
«Uhtred.» Mehr sagte er nicht. Er schien noch nicht glauben zu können, dass ich es wirklich war.
«Ich habe nach dir gesucht», erklärte ich, «denn ich wollte nicht gegen dich kämpfen.»
Er biss die Zähne aufeinander, als er den zertrümmerten Schild von der verletzten Hand streifte. Ich sah Bischof Alewold mit
schlammverschmierter Robe über die weite Fläche der Festung laufen, er schwenkte die Arme und lobte Gott, weil er uns die
Heiden ausgeliefert habe. «Ich habe Guthrum geraten, außerhalb der Festung zu kämpfen», sagte Ragnar. «Wir hätten euch alle
getötet.»
«Ja, das hättet ihr», stimmte ich ihm zu. Guthrum hatte uns mit seiner Entscheidung, in der Festung zu bleiben, die Möglichkeit
gegeben, seine Armee nach und nach zu zerschlagen. Trotzdem kam es einem Wunder gleich, dass wir den Sieg davongetragen hatten.
«Du blutest», sagte Ragnar. Eine Speerspitze war mir von hinten in den Oberschenkel gefahren. Die Narbe habe ich bis heute.
Pyrlig schnitt das Hemd eines Toten in Streifen und band mit ihnen Ragnars Hand zusammen. Auch mich wollte er verbinden, doch
die Blutung hatte nachgelassen, und ich schaffte es aufzustehen, obwohl mir der Schmerz, den ich |504| bislang nicht gespürt hatte, von einem Augenblick auf den anderen in aller Heftigkeit zusetzte. «Sie haben meine Frau umgebracht»,
sagte ich zu Ragnar. Er sagte nichts, aber er blieb neben mir stehen, und weil mein Bein so grauenvoll schmerzte und ich mich
mit einem Mal unglaublich schwach fühlte, legte ich meinen Arm um seine Schulter. «Ihr Name war Iseult», sagte ich, «und auch
mein Sohn ist tot.» Ich war froh, dass es regnete, weil man sonst die Tränen auf meinen Wangen gesehen hätte. «Wo ist Brida?»
«Ich habe sie den Hügel hinaufgeschickt», antwortete Ragnar. Wir hinkten zusammen auf den Nordrand der Festung zu.
«Und du bist geblieben?»
«Irgendjemand musste die Nachhut bilden», sagte er einfach. Ich glaube, auch er weinte, und zwar aus Scham über die Niederlage.
Diese Schlacht konnte Guthrum gar nicht verlieren, und nun hatte er sie doch verloren.
Pyrlig und Steapa waren immer noch bei mir, und ich sah Eadric, der einem toten Dänen das Kettenhemd auszog. Leofric aber
war nicht zu sehen. Ich fragte Pyrlig nach ihm, und Pyrlig sah mich traurig an und schüttelte den Kopf.
«Tot?», fragte ich.
«Eine Axt», sagte er, «in den Rücken.» Ich war wie betäubt, zu benommen, um einen Gedanken zu fassen. Es schien unmöglich,
dass der unverwüstliche Leofric tot war, und doch war es so, und ich wünschte, ihn nach dänischer Art bestatten zu können,
auf einem Scheiterhaufen, damit der Rauch seines Leichnams in die Halle der Götter würde aufsteigen können. «Es tut mir leid»,
sagte Pyrlig.
«Der Preis für Wessex», sagte ich, und dann stiegen wir auf den Wall im Norden, wo sich Alfreds Kämpfer drängten.
|505| Der Regen ließ nach, wenn auch in der Tiefebene unter uns immer noch schwere Schauer niedergingen. Mir war, als stünden wir
am Rand der Welt, vor uns nichts als Wolken und Regen, während unter uns am Fuße des steilen Abhangs Hunderte von Dänen nach
ihren Pferden suchten.
«Guthrum», murmelte Ragnar bitter.
«Er lebt?»
«Er war der Erste, der sich davongemacht hat», antwortete er. «Auch Svein hat darauf gedrungen, dass wir alle außerhalb der
Festung kämpfen. Aber Guthrums Angst vor der Niederlage war größer als sein Wunsch zu siegen.»
Begeisterte Rufe erklangen, als die königlichen Banner über die eroberte Festung zum nördlichen Wall getragen
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