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Der weiße Reiter

Titel: Der weiße Reiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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nicht, wie der Hund hieß. Doch plötzlich ging ihm ein Licht auf. «Ein englischer
     Name?», fragte er. «Ein dänisches Mädchen, das seinen Hund Kobold nennt?»
    «Sie ist keine Dänin», entgegnete ich. «Sie heißt Brida und ist Angelsächsin.»
    Wulfhere starrte mich an und musste dann lachen. «Dieses gerissene kleine Luder. Hat uns die ganze Zeit belauscht und jedes
     Wort verstanden, oder?»
    Brida war in der Tat gerissen. Sie war meine erste Geliebte, ein Mädchen aus Ostanglien, das Ragnars Vater an Tochters Statt
     aufgenommen hatte und das nun mit Ragnar das Bett teilte. «Wendet Euch an sie», bat ich ihn. «Grüßt Sie von mir und sagt ihr,
     wenn es zum Krieg kommen sollte   …» Ich stockte, wusste nicht weiter. Zu versprechen, mein Bestes zu tun, um Ragnar zu retten, ergab keinen Sinn, denn wenn
     tatsächlich Krieg ausbräche, wären die Geiseln abgeschlachtet, lange bevor ich dort sein könnte.
    «Wenn es zum Krieg kommen sollte   …?», drängte mich Wulfhere, den Gedanken fortzuführen.
    «Wenn es zum Krieg kommen sollte», sagte ich und setzte mit den Worten fort, die er vor meinem Bußgang gebraucht hatte, «dann
     werden wir alle versuchen irgendwie am Leben zu bleiben.»
    Wulfhere starrte mich lange an und gab mir mit seinem Schweigen zu verstehen, dass meine Botschaft zwar nicht bei Ragnar,
     wohl aber bei ihm angekommen war. Er hob den Krug an die Lippen. «Dieses kleine Luder spricht also Englisch.»
    «Sie ist schließlich Angelsächsin.»
    Auch ich war Angelsachse, doch ich hasste Alfred und würde mich, wenn irgend möglich, wieder Ragnar anschließen, |62| ganz gleich, was Mildrith davon hielte. Jedenfalls dachte ich das. Doch tief unter der Erde, wo die Midgardschlange an den
     Wurzeln des Weltenbaums Yggdrasil nagt, sitzen drei Spinnerinnen, Frauen, die unsere Schicksalsfäden verweben. Wir glauben,
     frei wählen zu können, doch in Wahrheit haben sie uns in der Hand. Sie bestimmen über unser Leben. Das Schicksal ist alles.
     Die Dänen wissen das, und sogar die Christen ahnen es.
Wyrd bið ful āræd
, heißt es in unserer Sprache: Das Schicksal ist unausweichlich. Und die Spinnerinnen hatten über meine Geschicke längst entschieden,
     denn schon eine Woche nach der Zusammenkunft des Witan, als es in Exanceaster wieder ruhiger geworden war, schickten sie mir
     ein Schiff.
     
    Zuerst berichtete mir ein Knecht davon, der über eines unserer Felder bei Oxton auf mich zurannte und sagte, in der Mündung
     der Uisc sei ein dänisches Schiff aufgekreuzt. Ich stieg sofort in meine Stiefel und mein Kettenhemd, riss die Schwerter vom
     Haken und ließ das Pferd satteln. Wenig später erreichte ich das Ufer, vor dem die
Heahengel
im Schlick steckte und verrottete.
    Und dort sah ich, wie sich hinter der langen Sandbank, die den Mündungstrichter von der offenen See trennte, ein Schiff näherte.
     Das Segel war eingeholt, die Ruderblätter stiegen und fielen wie Vogelschwingen, und im aufgewühlten Kielwasser glitzerte
     silbern das Sonnenlicht. Hinter dem hochaufragenden Steven stand ein Mann in voller Rüstung, ein Mann mit Helm und Speer,
     dessen Anblick unter den Fischerleuten, die hier in ihren kleinen Katen am Fluss lebten, Furcht und Schrecken erregte. Eilends
     packten sie einige wenige Habseligkeiten zusammen und suchten in den nahe gelegenen Hügeln Deckung. Einem von ihnen rief ich
     zu: «Das ist kein Däne!»
    |63| «Herr?»
    «Das ist ein westsächsisches Schiff», rief ich, doch sie glaubten mir nicht und trieben ihr Vieh davon. So verhielten sie
     sich schon seit Jahren. Kaum dass ein Schiff auftauchte, rannten sie los, denn mit den Schiffen kamen Dänen und mit den Dänen
     immer Tod und Verheerung. Dieses Schiff aber trug keinen Drachen, keinen Wolfsschädel oder Adlerkopf am Steven. Ich kannte
     es. Es war die
Eftwyrd
, das Schiff Alfreds, die sonst fromm
Heahengel
,
Apostol
oder
Cristenlic
benannt waren, mit dem besten Namen. Denn
Eftwyrd
bedeutete «Das Jüngste Gericht», was zwar im christlichen Sinne verstanden sein wollte, aber genau bezeichnete, wohin das
     Schiff schon viele, viele Dänen gebracht hatte.
    Der Mann im Bug winkte mir zu, und zum ersten Mal seit meiner Demütigung durch Alfred, der mich auf Knien an seinen Altar
     hatte rutschen lassen, hob sich meine Stimmung. Es war Leofric, der mich grüßte und, als der Schiffsrumpf im Schlick aufsetzte,
     die Hände zum Trichter an den Mund führte und rief: «Wie tief ist der Schlick hier?»
    «Eine

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