Der weiße Reiter
erreichten das Ziel als Erste, und als ich die Tür aufstieß, sah ich
Iseult auf dem Thron ihres Gemahls sitzen.
Ich schwöre, sie hatte mich erwartet, denn sie zeigte keinerlei Angst oder Verwunderung. Sie stand auf, um mich willkommen
zu heißen, legte alles Silber ab, das ihren Hals, ihre Handgelenke und die Knöchel schmückte, und bot es mir wortlos dar.
Ich warf das ganze Zeug Leofric zu und sagte: «Auch davon soll Svein seinen Anteil bekommen.»
|107| «Auch von ihr?», scherzte er. «Willst du auch sie mit ihm teilen?»
Ohne zu antworten, nahm ich Iseult den Umhang von den Schultern. Darunter trug sie ein schwarzes Kleid. Mit der noch blutverschmierten
Klinge meines Schwertes ritzte ich den Umhang auf, um einen Streifen Stoff vom Saum zu reißen. Iseult sah mir zu, zeigte aber
keinerlei Regung. Ich gab ihr den Umhang zurück, band das eine Ende des Stoffstreifens um ihren Hals und befestigte das andere
an meinem Gürtel. «Sie gehört mir», sagte ich.
Immer mehr Dänen kamen in die Halle. Manche schienen Iseult mit ihren Blicken verschlingen zu wollen. Als Svein hinzukam,
forderte er seine Männer auf, den Lehmboden umzugraben und nach versteckten Münzen oder Silber zu suchen. Grinsend nahm er
Iseults Leine zur Kenntnis. «Ihr könnt sie haben, Sachse», sagte er. «Sie ist hübsch, aber ich ziehe Weiber vor, die mehr
Fleisch auf den Rippen haben.»
Ich behielt Iseult auch bei dem Festgelage am Abend bei mir. In der Siedlung waren große Mengen an Bier und Honigwein aufgetrieben
worden, und um Prügeleien vorzubeugen, befahl ich meinen Männern, die Dänen in Frieden zu lassen, und Svein verlangte Gleiches
von seinen Männern. Die meisten hielten sich daran. Trotzdem kam es wegen der einen oder anderen gefangenen Frau zum Streit,
und einem der Jungen, die ich von Oxton mitgenommen hatte, wurde ein Messer in den Bauch gestoßen. Am Morgen war er tot.
Svein amüsierte sich darüber, dass wir auf einem westsächsischen Schiff segelten. «Hat Euch Alfred losgeschickt?», fragte
er mich.
«Nein.»
«Vom Kämpfen hält er nicht viel, was?»
|108| «Doch», antwortete ich. «Bloß glaubt er, dass sein Gott für ihn kämpft.»
«Dann ist er ein Narr», erwiderte Svein. «Die Götter tanzen nicht nach unserer Pfeife. Leider.» Er saugte das Mark aus einem
Schweineknochen. «Also, weshalb seid Ihr hier?»
«Ich will Beute machen», sagte ich. «Genau wie Ihr.»
«Ich will Verbündete finden», sagte er.
«Verbündete?»
Er war betrunken genug, um redselig zu werden, und so erfuhr ich, dass er in der Tat der Svein war, von dem gesagt wurde,
dass er in Wales Kämpfer zusammenzog. Nachdem er das zugegeben hatte, fügte er hinzu, dass er noch lange nicht genug Krieger
hätte. «Guthrum kann zweitausend Mann in die Schlacht führen, vielleicht sogar noch mehr. Ich brauche ein mindestens ebenso
schlagkräftiges Heer.»
Er war also ein Rivale Guthrums. Dass mir diese Information sehr interessant erschien, ließ ich mir nicht anmerken. «Glaubt
Ihr, dass die Männer von Cornwalum an Eurer Seite kämpfen werden?»
«Sie haben’s versprochen», antwortete er und spuckte ein Stück Knorpel aus. «Deshalb bin ich hierhergekommen. Aber die Bastarde
haben gelogen. Callyn ist kein richtiger König, sondern bloß ein Dorfvorsteher. Ich vergeude hier meine Zeit.»
«Könnten wir Callyn gemeinsam besiegen?», fragte ich.
Svein dachte kurz nach und nickte dann. «Könnten wir.» Den Blick in die äußerste Ecke der Halle gerichtet, kniff er plötzlich
die Brauen zusammen. Ich sah, dass er einen seiner Männer beobachtete, der eine junge Frau auf dem Schoß hatte. Offenbar hatte
auch Svein Gefallen an |109| ihr, denn er schlug auf den Tisch, zeigte auf sie und winkte sie herbei. Widerwillig brachte der Mann sie an unseren Tisch.
Svein hieß sie neben sich Platz nehmen, öffnete ihr Hemd, um ihre Brüste zu begutachten, und gab ihr dann aus seinem Krug
zu trinken. «Ich werde darüber nachdenken», sagte er zu mir.
«Oder denkt Ihr noch daran, mich anzugreifen?», fragte ich.
Er grinste. «Ihr seid Uhtred Ragnarson», entgegnete er. «Und ich habe von der Schlacht am Fluss gehört, wo Ihr Ubba getötet
habt.»
Offenbar hatte ich unter meinen Feinden größeres Ansehen als unter meinen sogenannten Freunden. Svein bestand darauf, dass
ich ihm von Ubbas Tod berichtete, was ich auch tat, und ich sagte ihm die Wahrheit, nämlich dass Ubba gestolpert und gefallen
war
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