Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
angeschlossen.
»Hoffentlich hat die Ziege noch Milch«, sagte sie und griff zum Euter. Als sie eine der beiden Zitzen sanft drückte, schoss ein weißer Strahl heraus.
»Sie hat Milch«, erklärte der Junge. »Ich habe sie heute Morgen gemolken und die Milch getrunken!«
»Ohne ein Gefäß?«, wunderte sich Nizhoni.
Da brachte Josef eine kleine Schüssel zum Vorschein. »Bei dem verbrannten Haus gibt es noch mehr, sogar einen Kessel, mit dem du richtig kochen kannst, dann musst du nicht immer heiße Steine in deinen Ledersack stecken«, fuhr der Junge fort.
Nizhoni überlegte, ob sie Josef hierlassen und das Neugeborene und die Stute holen sollte. Doch eine niedergebrannte Farm konnte fremde Menschen anziehen, und sie wollte weder mexikanischen Soldaten noch schweifenden indianischen Kriegern begegnen.
»Hast du auch eine Schaufel gefunden? Ich brauche nämlich eine«, sagte sie zu dem Jungen.
Der nickte eifrig. »Das habe ich. Aber der Stiel ist verbrannt!«
»Ich werde einen neuen machen. Doch nun komm! Wir nehmen ein paar Maiskolben und die Ziegenschecke mit.«
»Dann kann ich so viel Milch trinken, wie ich will!«, rief der Junge begeistert aus.
Um Nizhonis Mund zuckte es. Die Milch des Tieres war in erster Linie für Josefs Bruder gedacht. Nur wenn der Kleine satt war, würde auch er welche erhalten.
Achter Teil San Jacinto
1.
W alther setzte das Fernglas ab und schob es mit einem Ruck zusammen. »Sie haben recht, Rudledge! Santa Ana teilt seine Armee erneut auf. Wie es aussieht, schickt er ein Drittel seiner Truppen nach Süden!«
»Dem Westentaschen-Napoleon wird es anscheinend zu langweilig«, antwortete der Späher grinsend. »Kann ich verstehen! So, wie Old Sam Houston ihn hinter sich hergehetzt hat, muss es ihm die Laune verderben.«
»Wie es aussieht, hat General Houston mit seiner Strategie zum zweiten Mal Erfolg. Santa Ana hat jetzt höchstens noch sechzehnhundert Mann bei sich. Das erhöht unsere Chancen.«
»Auf mindestens eins zu zwei, denn er ist uns im Augenblick nur noch doppelt überlegen. Jetzt könnten wir seine Truppe immer wieder aus dem Hinterhalt attackieren«, schlug Rudledge vor.
Walther schüttelte den Kopf. »Es gibt hier zu wenige Stellen, an denen wir ihn in die Falle locken könnten. Daher werden wir es auf die harte Weise austragen müssen.«
»Mir auch recht! Und jetzt sollten wir zusehen, dass wir von hier wegkommen. Ich sehe einige Dragoner in unsere Richtung reiten. Sind wohl auf der Suche nach unseren Spähern.« Mit einem Zungenschnalzen trieb Rudledge seinen Mustang an und ritt in der Deckung eines kleinen Wäldchens davon.
Nach einem letzten Blick auf Santa Anas Lager folgte Walther ihm. Obwohl Santa Anas Dragoner ausschwärmten, führte der erfahrene Scout ihn unbemerkt von den feindlichen Soldaten zurück. Drei Stunden später erreichten sie ihr Lager und gaben der Wache die Parole.
»Na, habt ihr Santa Ana in den Suppentopf geschaut?«, fragte ein Soldat grinsend.
»Nicht ganz, aber fast. Jetzt lasst uns erst einmal mit Old Sam reden. Er ist noch neugieriger als du!« Rudledge zwinkerte Walther zu und ritt zum Zelt des Generals weiter.
Sam Houston hatte sie kommen sehen und erwartete sie vor seinem Zelt. »Was gibt es?«, fragte er angespannt.
»Santa Ana schickt einen Teil seiner Armee nach Süden. Ich schätze, er will die Küstenorte unter Kontrolle bringen, um uns von dem Nachschub abzuschneiden, der über die See kommen könnte«, meldete Walther.
»Dazu hat er gewiss seinen Schwager Cos abkommandiert. Dem kann er noch am ehesten vertrauen. Einige seiner Offiziere sollen bereits murren, weil er vor dem Alamo nicht auf die schwere Artillerie gewartet hat. Deshalb hat ihn der Sturmangriff auf das Fort weitaus mehr Soldaten gekostet, als nötig gewesen wären.«
Houstons Männer hatten ein paar mexikanische Deserteure abgefangen und verhört, und so wusste der General recht gut über die Zustände im feindlichen Heer Bescheid. Nachdenklich ließ er den Blick über sein Lager schweifen. Die Soldaten brannten darauf, es Santa Ana heimzuzahlen, doch war der rechte Augenblick bereits gekommen? Houston bezweifelte das. Noch hatte sich Cos mit seinen Männern nicht weit genug entfernt. Wenn er kehrtmachte, um seinem Oberbefehlshaber zu Hilfe zu eilen, geriet seine Armee zwischen zwei Fronten und wurde aufgerieben.
»Wir brechen morgen das Lager eine Stunde früher ab als sonst. Fitchner, sorgen Sie dafür, dass die Armee bis zum Abend ihre dreißig
Weitere Kostenlose Bücher