Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Walther konnte es ihnen nicht verdenken, denn Tejas war ein unbekanntes Land voller Gefahren. Doch es bot ihm, der das Land seiner Geburt hatte verlassen müssen, eine neue Heimat. Er verscheuchte diesen Gedanken schnell wieder, stieg ab und trat in die Hütte der Poulains. Der Hausherr war nicht da, dafür sah er sich Charlotte Poulain gegenüber.
»Bonjour, Monsieur Walther! Kommt das Kind? Rasch, Gertrude, pack zusammen und zieh dich um! Ich bin ja so dankbar, dass Sie Gertrude zu uns geschickt haben, Monsieur Walther. Ohne die Gute wären mein Albert, meine kleine Cécile und ich niemals zurechtgekommen. Gertrude ist so tüchtig! Hoffen wir, dass ihr Mann bald aus La Nouvelle-Orléans zu uns stößt und das Land übernehmen kann, das ihr der liebe Monsieur de Gamuzana geschenkt hat.«
Die Frau redete wie ein Wasserfall, ohne daran zu denken, dass Walthers Französischkenntnisse zu schlecht waren, um ihr folgen zu können. Daher musste Gertrude übersetzen, und selbst sie tat sich schwer. Mit einem Blick, der deutlich zeigte, dass Charlotte Poulain sehr gerne und sehr oft redete, suchte sie ihre Sachen zusammen und schnürte ein Bündel.
»So, ich bin so weit! Wir sollten aufbrechen, sonst kommt das Kind schneller, als wir bei Gisela sein können.«
»Oh ja, das Bébé! Hoffentlich geht alles gut. Am liebsten würde ich ja mitkommen, aber mir geht es noch nicht so gut, um mich auf einen Wagen setzen zu können«, erklärte Charlotte und schien noch lange nicht am Ende ihrer Rede.
Walther lüftete kurz den Hut und sagte: »Auf Wiedersehen, Madame! Grüßen Sie mir Monsieur Poulain und Cécile!«
Beinahe fluchtartig verließ er das Haus und atmete draußen erst einmal durch. Nach einem tiefen Seufzer drehte er sich zu Gertrude um, die ihm auf dem Fuß gefolgt war.
»Redet Charlotte immer so viel?«
»Seien Sie ihr nicht böse, Herr Fichtner«, antwortete Gertrude lachend. »Wenn man aus einem Dorf kommt, in dem man mit den Nachbarinnen nach Belieben schwätzen konnte, ist es schwer, sich hier in der Einsamkeit zurechtzufinden. Daher freut Charlotte sich über jeden, der sie und ihren Mann besucht.«
»Das verstehe ich«, antwortete Walther und nahm sich vor, die Poulains nach Möglichkeit nicht zu oft aufzusuchen.
10.
W ie er erwartet hatte, war Arlette Laballe noch nicht eingetroffen, als Walther mit Gertrude die Farm erreichte. Aber Rosita Jemelin wartete wie auf heißen Kohlen sitzend auf sie.
»Komm rasch!«, rief sie Gertrude zu und scheuchte Walther fort.
»Das ist nichts für Männer! Wir Frauen müssen das allein machen!«
»Kann ich nicht zu ihr?«, fragte Walther besorgt, doch die Mexikanerin schüttelte den Kopf.
»Nicht jetzt! Erst wenn alles vorbei ist.« Damit schob sie Gertrude ins Haus und schlug Walther die Tür vor der Nase zu.
Der starrte so konsterniert auf das Holz, dass Pepe trotz aller Anspannung lachen musste.
»Señora Jemelin ist eine sehr energische Frau, finden Sie nicht auch, Señor?«
»Das kannst du laut sagen«, knurrte Walther und überlegte, was er tun sollte. Am liebsten hätte er sich neben die Tür gesetzt und gewartet. Doch ein so jämmerliches Bild wollte er nicht abgeben.
Nach einem scharfen Luftholen drehte er sich zu Pepe um. »Wir werden in den Wald gehen und Holz für Pfähle schlagen, so dass wir einen größeren Pferch bauen können.«
»Einen noch größeren, als wir bereits haben?«, fragte der Knecht verblüfft.
»Irgendetwas müssen wir ja tun«, antwortete Walther.
Er wollte Pepe nicht sagen, dass er hoffte, ein paar Gäule von den Komantschen einhandeln zu können. Zwar besaß er sein eigenes Reittier und die beiden Mustangs, die Julio erbeutet hatte, aber in diesem weiten Land war es dringend notwendig, genug Pferde zu besitzen. Mit diesem Gedanken sattelte er seinen Hengst ab und legte ihm das Kummet um, damit dieser das Holz ziehen konnte.
»Es tut mir leid, dass wir gleich wieder losmüssen, doch während wir das Holz schlagen, kannst du ein wenig fressen und dich ausruhen«, sagte er zu dem Tier.
Als er aufbrach, blickte er noch einmal zum Haus zurück. Dort sah seine Frau ihrer schweren Stunde entgegen, und er durfte nicht bei ihr sein.
Während Walther sich mit Arbeit ablenkte, lag Gisela wimmernd auf ihrem Bett. Nie hätte sie erwartet, dass es so schmerzhaft sein könnte, ein Kind zur Welt zu bringen. Die Wehen raubten ihr beinahe den Verstand, und sie biss die Zähne zusammen, um sie ertragen zu können.
»Wenn du schreien musst,
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