Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
dann schrei!«, forderte Rosita sie auf.
Gisela schüttelte den Kopf. »Bei Gott, nein! Wenn Walther das hört, vergeht er vor Angst um mich.«
»Keine Sorge, an dem ist genug dran«, antwortete Gertrude, die von Rosita dazu verdonnert worden war, noch mehr Wasser heiß zu machen.
»Langsam könnte Arlette auftauchen!«, fuhr sie fort. Obwohl sie auch zu zweit gut zurechtkamen, wäre es eine Erleichterung, weitere Unterstützung zu haben.
»Die Arme quält sich so«, sagte Rosita bekümmert.
Gertrude warf Gisela einen forschenden Blick zu. »Es ist das erste Kind! Das ist immer schwerer.«
»Ich habe mir bei meinem ersten Kind nicht so schwergetan.« Rosita trat wieder zu Gisela und fasste ihre Hand. »Es wird sicher alles gut, glaube mir!«
»Das wird es. Ich …« Eine neue Wehe riss Gisela das, was sie noch sagen hatte wollen, von den Lippen. Diesmal konnte sie den Schmerz nicht mehr stumm ertragen, sondern stieß einen gellenden Schrei aus.
»So ist es richtig!«, lobte Rosita sie und prüfte dann, wie weit die Geburt bereits fortgeschritten war.
Da huschte Arlette Laballe beinahe auf Zehenspitzen herein. »Wie steht es?«, fragte sie, während sie die Tür hinter sich schloss.
»Noch lässt das Kind auf sich warten. Wasch dir die Hände dort in der Schüssel und hilf Gertrude, einen Aufguss aufzubrühen. Ich habe Kräuter mitgebracht, die helfen sollen, dass das Kind schneller kommt. Außerdem muss Gisela viel trinken. Sie schwitzt zu stark!«
Rosita erteilte ihre Anweisungen wie ein befehlsgewohnter General, und die anderen gehorchten ihr ohne Widerspruch.
Die nächsten Stunden wurden für alle zur Qual. Gisela durchlebte eine Wehe nach der anderen, ohne dass die Geburt voranging. Längst hatte sie alle Bedenken vergessen und schrie ihren Schmerz aus sich heraus. Besorgt versuchten die drei Frauen, ihr zu helfen, doch sie wussten selbst, dass sie der Natur ihren Lauf lassen mussten.
»Können wir denn gar nichts tun?«, stöhnte Gertrude, der die Situation an die Nieren ging.
Rosita hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Wir können nur auf die Jungfrau von Guadalupe vertrauen und auf die heilige Margareta von Antiochia. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig!«
Das Letzte klang bereits resignierend, denn es gab Fälle, in denen Kinder den Leib der Mutter nicht hatten verlassen können und beide gestorben waren. Um das zu verhindern, stimmte sie ein Gebet an, in dem sie die genannten Heiligen bat, ihnen beizustehen.
Kurz vor dem Abend erschien Walther und klopfte an die Tür. »Was ist?«, fragte er. »Wie geht es Gisela?«
»Lassen Sie uns in Ruhe, Señor! Reiten Sie zu Ihren Vaqueros und bleiben Sie bei ihnen über Nacht. Wir haben hier alle Hände voll zu tun«, forderte Rosita ihn auf.
Walther stand mit hängenden Schultern vor seinem Haus und wollte nicht weichen. Da fasste Pepe ihn am Arm und führte ihn zu seinem Pferd. »Steigen Sie auf, Señor, und reiten Sie zu Julio und den anderen. Es ist besser für Sie und auch für Ihre Frau. Die will Sie jetzt gewiss nicht bei sich haben.«
»Ich kann doch nicht …« Ein Schrei Giselas unterbrach Walther, und er wollte wieder zum Haus. Doch Pepe stellte sich ihm in den Weg.
»Sie dürfen Señora Rosita und die anderen Frauen jetzt nicht stören.«
Gegen seinen Willen nickte Walther und stieg aufs Pferd.
»Señor, ich verspreche Ihnen, sofort zu kommen, wenn das Kind da ist!«, rief Pepe ihm noch nach, war aber nicht sicher, ob Walther es gehört hatte.
Danach ging der Knecht zum Haus und klopfte an die Tür. »Señora Rosita, ich habe Señor Waltero dazu gebracht, zu den Vaqueros zu reiten.«
»Sehr gut! Und jetzt verschwinde ebenfalls«, kam es mit einem verzweifelten Unterton zurück.
11.
D ie Nacht kam und wich schließlich dem Morgen, ohne dass das Kind geboren wurde. Zuletzt war Gisela so schwach, dass sie nicht einmal mehr schreien konnte. Rosita flößte ihr immer wieder ihren Aufguss ein und gab schließlich Tequila hinzu, damit die Gebärende sich etwas entspannte. Doch es schien alles vergebens.
»Wir werden sowohl Gisela wie auch das Kind verlieren«, prophezeite Arlette düster.
Gisela vernahm ihre Worte und versank in Verzweiflung. War dies die Strafe des Himmels, weil sie Diebold von Renitz erschossen hatte? So grausam konnte Gott doch nicht sein!
Sie hatte es getan, um Walthers Leben und das ihre zu retten. Oder hatte sie sich anderweitig versündigt? Vielleicht hätte sie Walther von der Vergewaltigung durch den
Weitere Kostenlose Bücher