Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Kraft dienen, und Sie sind zudem der geeignetste Mann für die Besiedlung dieses Landstrichs.«
Er heuchelte nicht einmal, denn Hernando de Gamuzana war ihm trotz der Ausfälle gegen die Nordamerikaner tausendmal lieber als sein eingebildeter Bruder. Allerdings gab ihm diese Bemerkung die Gelegenheit, das anzusprechen, was für ihn am wichtigsten war.
»Ich habe mit den Neusiedlern gesprochen und etliche Klagen vernommen. Die Leute behaupten, die Republik Mexiko hätte ihnen Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten würden.«
Gamuzana ballte erneut die Faust. »Das ist eine Unverschämtheit! Diese Leute sind die bislang am besten ausgestattete Siedlergruppe, die an den Rio Colorado geschickt wird. Sie selbst und Ihre Freunde haben weitaus weniger besessen, und Diego Jemelins Gruppe musste ebenfalls mit geringeren Mitteln auskommen.«
Walther hatte jedoch keine Lust, Gamuzana aus seiner Verantwortung zu entlassen und sich selbst mit den Siedlern auseinanderzusetzen. »Das mag sein, nur wollen einige von ihnen nicht wie geplant übermorgen aufbrechen, sondern warten, bis sie alles erhalten haben, was ihnen ihrer Ansicht nach zugesagt wurde.«
Auf Gamuzanas Gesicht erschien ein verächtlicher Zug. »Ich werde zu den Leuten sprechen und ihnen erklären, dass die Republik Mexiko sich bemühen wird, sie vollends zufriedenzustellen. Sind die Siedler erst einmal auf ihrem Land, haben sie andere Probleme, als sich bei Ihnen oder mir zu beschweren.«
Zwar teilte Walther diese Meinung nicht, war aber zufrieden, weil der Alcalde sich den aufgebrachten Siedlern stellen wollte. Dann fiel ihm ein, dass General Santa Ana diesen zum Empresario gemacht hatte, nicht die mexikanische Regierung. In deren Augen war immer noch Don Ramón für das Siedlungsprojekt verantwortlich. Dem Mann gefiel es jedoch mehr, in einer schmucken Uniform herumzulaufen und im Schatten Santa Anas Karriere beim Militär zu machen.
Mit dem Gefühl, dass Politik in Mexiko etwas war, das ein Außenstehender kaum zu durchschauen vermochte, besprach Walther mit Gamuzana den Ablauf des Siedlerzugs und machte ein paar Änderungsvorschläge bezüglich der geplanten Parzellen. Dazu benützte er den Plan, den Diego Jemelin gezeichnet hatte, und wies auf mehrere freie Flecken in dem Gebiet.
»Das Landlos Ihres Bruders sollte von zweihundert Familien besiedelt werden. Trotz der neu angekommenen Siedler stehen immer noch über dreißig Parzellen leer. Wird dies die Regierung von Mexiko zulassen?«
Gamuzana winkte lachend ab. »Das sollte Sie nicht stören, Señor. Seine Exzellenz General de Santa Ana hat bereits erklärt, dass die Regierung der Republik Mexiko den Besiedlungsauftrag als erfüllt ansehen wird. Die restlichen dreißig Parzellen werden unter den bisherigen Siedlern aufgeteilt. Sie und Jemelin erhalten je fünf Parzellen für sich, dazu kann Jemelin zehn und Sie fünf an weitere Siedler vergeben. Die entsprechenden Urkunden werden heute noch ausgestellt. Damit verhindern wir, dass sich Americanos dort einnisten können!«
Das Letzte klang nicht gerade freundlich, und Walther begriff, dass das Kaufangebot des Präsidenten der Vereinigten Staaten für Tejas den Stolz der Mexikaner schwer verletzt haben musste. Dann aber sagte er sich, dass er und die anderen Siedler im Gamuzana-Gebiet mit diesem Streit nichts zu tun hatten, und bat Don Hernando, ihn zu entschuldigen.
»Ich muss ein paar Besorgungen machen und noch einmal mit den Anführern der neuen Siedler über unsere Reise sprechen.«
»Tun Sie das!«, erklärte Gamuzana gönnerhaft. »Noch etwas! Jemand hat gestern gehört, wie Sie diesen Aufwiegler Austin in seine Schranken verwiesen haben. Ich bin stolz auf Sie, denn Sie haben sich als wahrer Bürger der Republik Mexiko erwiesen.«
Gamuzanas Lob erreichte jedoch das Gegenteil dessen, was dieser beabsichtigt hatte, denn Walther sagte sich, dass er ab jetzt jedes Wort, das er in Gegenwart anderer sagte, genau abwägen musste. Die Androhung, dass Aufrührer ohne richterlichen Beschluss verhaftet und nach Süden verschleppt werden konnten, öffnete jeglicher Willkür Tür und Tor. Nur wer sich vor den Machthabern duckte und gehorchte, konnte mit deren Gnade rechnen. Hatte er die Heimat verlassen, um auch hier nur ein besserer Lakai zu sein?, fragte er sich und wusste, dass er in naher Zukunft eine Antwort hierauf finden musste.
12.
A uf der Farm am Rio Colorado führten Gisela und Nizhoni ein einsames Leben. Einmal in der Woche kamen die
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