Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
ein paar Bissen, tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab und nickte Felipe zu.
»Danke!« Damit stand er auf und verließ die Cantina.
Der Weg zum Haus des Alcalden war nicht weit. Unterwegs kam Walther an der Kirche vorbei und sah, wie die Besucher des Gottesdienstes ins Freie strömten. Bei seinem Anblick verzogen ein paar Frauen das Gesicht.
»Das ist auch so ein ketzerischer Americano«, hörte er sie sagen und begriff, dass es gar nicht so einfach war, wie ein Nordamerikaner auszusehen und ein Mexikaner sein zu wollen. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als er kurz darauf Hernando de Gamuzana gegenüberstand.
»Ich habe gehört, dass Sie gestern mit diesem Aufwiegler Stephen Austin gesprochen haben«, begann der Alcalde anstelle eines Grußes.
»Ich habe mich an seinen Tisch gesetzt, weil dort noch ein freier Platz war. Allerdings wusste ich nicht, wer der Mann war.«
»Dann will ich Ihnen sagen, wer Stephen Austin ist«, erklärte Gamuzana grimmig. »Austin hat noch von der spanischen Regierung das Recht erhalten, dreihundert Familien am Rio Brazos anzusiedeln. Nach der Unabhängigkeit von Mexiko hat unsere Regierung ihm dieses Privileg bestätigt. Austin hat geschworen, nur ehrliche und gebildete Menschen nach Tejas zu bringen, die katholischen Glaubens und willens sind, unsere Sprache zu lernen und unsere Kultur zu achten. Doch statt der dreihundert Familien kamen immer mehr und siedelten sich an, ohne dafür die Erlaubnis unserer Regierung erhalten zu haben. Mittlerweile sind es Tausende! Kaum einer von ihnen ist Katholik, und nur wenige sprechen unsere Sprache. Stattdessen fordern sie das Recht, offen ihre protestantische Ketzerei ausüben und in ihrer englischen Sprache mit den Behörden der Republik Mexiko verkehren zu können.«
Gamuzana schwieg einen Augenblick und sah Walther durchdringend an. »Und das ist noch nicht alles! Diese Leute fordern auch, Tejas aus der Provinz Coahuila y Tejas herauszulösen und zu einem eigenen Bundesstaat zu machen.«
»Es wäre von Vorteil, wenn Eingaben an die Provinzregierung nicht bis nach Saltillo geschickt werden müssten, sondern nur noch nach San Antonio«, gab Walther zu bedenken.
»Das streite ich nicht ab, auch wenn mein eigener Schwager der Gouverneur von Coahuila y Tejas ist. Doch es geht um etwas anderes! In dem Gebiet von Tejas bilden die Americanos aufgrund ihres ungezügelten Zuzugs bereits die Mehrheit gegenüber uns Mexicanos. Sie würden ihre Leute in das Parlament wählen und einen der ihren zum Gouverneur machen, sei es Austin oder ein anderer. Das aber wäre der Beginn einer Rebellion, deren Ziel es ist, Tejas der Republik Mexiko zu entreißen und den sogenannten Vereinigten Staaten von Amerika anzuschließen.«
Walther überlegte sich gut, was er darauf antworten sollte. Einige der Rechte, die hier angesprochen worden waren, schienen ihm erstrebenswert, wie das Recht auf freie Religionsausübung. Auch demokratische Wahlen, solange sie nicht zur Unterdrückung der Minderheit führten, waren in seinem Sinn. Doch das war nichts, was Gamuzana hören wollte.
»Wie stellen Sie sich die Zukunft von Tejas und Mexiko vor?«, fragte er daher vorsichtig.
»Es wird sich bald etwas ändern! Bis jetzt war die Regierung der Republik Mexiko zu nachgiebig mit Leuten wie Austin und den anderen nordamerikanischen Siedlern. Ab jetzt wird jedoch keiner, der ohne Erlaubnis in unser Land kommt, die mexikanische Staatsbürgerschaft und das Besitzrecht auf Land erhalten. Dies hat General de Santa Ana uns mitgeteilt. Außerdem will er dafür sorgen, dass die Americanos, die gegen die Interessen der Republik Mexiko verstoßen, aus dem Land gewiesen werden. Zu diesem Zweck werden weitere mexikanische Truppen nach Tejas verlegt. Jeder Aufrührer muss damit rechnen, verhaftet und in die Ciudad de Mexico gebracht zu werden«, sagte Hernando de Gamuzana, der jede Leutseligkeit verloren hatte und mehrfach die Faust ballte.
Walther fragte sich, was in den letzten Monaten vorgefallen sein musste, weil die Stimmung so aufgeheizt war.
»Übrigens muss ich Sie von einer Änderung in Kenntnis setzen«, fuhr Gamuzana fort. »Mein Bruder Ramón ist nun der Adjutant Seiner Exzellenz, General Antonio López de Santa Ana. Da Ramón ob dieser ehrenvollen Aufgabe das Amt des Empresarios nicht mehr ausüben kann, wurde es mir übertragen.«
Walther fühlte, dass Gamuzana Lob und Zustimmung erwartete. »Eine weise Entscheidung! So kann Don Ramón dem General mit voller
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